Mortal Kombat X: Kung Jin ist schwul, und das ist auch gut so
Nachdem die blanken Fakten zu Kung Jins Coming-out dank der Newsmeldung auf dem Tisch liegen, bleibt die Frage, weshalb in einem Kampfspiel wie Mortal Kombat X, das noch dazu vornehmlich für seine exzessive Gewaltdarstellung und kompromisslose Action bekannt ist, der Fakt, dass ein Charakter schwul ist, zählt und Bedeutung hat. Dazu muss ich etwas weiter ausholen.
Nach dem Coming-out von Apples Tim Cook verfasste das Magazin „VICE“ einen wundervoll pragmatischen wie kurzen Artikel zu diesem Thema, der eine ähnliche Frage stellt und dessen Textkörper nur die Jahreszahl 2014 nennt und danach endet.
Wie progressiv sind wir im Jahr 2015?
Im Jahr 2015 sollte es wirklich keine/n mehr interessieren, ob und vor allem welche Vorlieben bzw. welche sexuelle Identität jemand hat und zu welchem Geschlecht er oder sie sich hingezogen fühlt. Da das mit Konjunktiven aber immer so eine Sache ist, sie oftmals nur Idealzuständen und Wünschen entsprechen, ist es sehr wohl von Bedeutung. Einerseits schreitet die Akzeptanz verschiedenster sexueller Orientierungen voran, andererseits liegt bis zur Wahrnehmung dieser als „Normalität“ aber noch ein ordentliches Stück Weg vor uns als Gesellschaft.
Man erinnere sich nur an die mediale Aufmerksamkeit, die die gewaltsame Schwulenverfolgung in Russland bekam, oder den Fakt, dass in einigen Teilen der Welt für Homosexuelle bei Entdeckung noch immer die Todesstrafe droht. Aber auch die passive Aggression, die dieses Thema in einem zivilisierten Land wie Amerika – man denke zurück an die bigotte Don’t-ask-don’t-tell-Mentalität der US Army – oder sogar hier im ach so toleranten und durch den Song Contest angeblich Brücken bauenden Wien – Stichwort Café Prückl – hervorruft, rechtfertigt die Herausstellung des Faktes in einem Videospiel wie Mortal Kombat X, dass ein harter Kerl, der seinen KontrahentInnen unter anderem Pfeile in die Augenhöhlen bohrt, schwul ist, in mehrerlei Hinsicht.
Boah, ist das „gay“!
In vielen Spiele-Chats und Teamspeak-Gesprächen wird von einem Großteil der Leute oftmals noch der Ausdruck „gay“ für etwas „Verweichlichtes“ und „Unmännliches“, sprich „Schwaches“ benutzt. Eine tatsächlich böse oder bewusst die Sexualität einer Gruppierung diskreditierende Absicht möchte ich eher einem geringen Teil der AnwenderInnen unterstellen. Die Floskel, dass etwas „voll schwul“ oder „homo“ oder eben „gay“ ist, hat sich eben so eingeschlichen, und auch wenn die negative Konnotation oft nur unbewusst verläuft, so ist sie doch unbestreitbar da und steht anklagend im Raum.
„Mich interessiert nicht, ob jemand schwul ist …“
„… ich will es aber auch nicht wissen!“, schreibt der User TMOG im Forum GameFAQs. Dieser Satz spiegelt genau die heuchlerische Haltung eines Teils der Gesellschaft wieder, den ich vorher angesprochen habe. TMOG ist vielleicht sogar noch einer der harmlosesten DiskutantInnen, da manche, beispielsweise Threadopener B___COW, sogar die absolut anachronistische „Die Bibel sagt auch, dass es falsch ist“-Keule schwingen (virtuell Köpfe zu spalten und Gedärme rauszureißen findet die Bibel hingegen ur leiwand) oder die Erwähnung Kung Jins Homosexualität als billigen, Aufmerksamkeit heischenden Publicity-Stunt der Game-DesignerInnen abtun.
Hohe Wellen schlägt diese angeblich so irrelevante Anmerkung der EntwicklerInnen aber trotzdem, denn immerhin ist der Thread mit dem Topic „Why is Kung Jin gay?“ zum jetzigen Zeitpunkt schon 35 Seiten lang. Zudem ist es genau die Überschrift, die den faden und wehmütigen Beigeschmack „Um Gottes willen, warum nur ist dieser Kämpfer bloß schwul? Das killt mein Weltbild!“ in sich trägt.
Schlechte Publicity gibt es nicht!
Genau darum ist es eben wichtig, dass Mortal Kombat X mit seiner Thematisierung diese Diskussion anheizt und mit Kung Jin als toughem und hartem Shaolin-Kampfmönch mit diesem Vorurteil, dass Schwule zwingend schwache Weicheier sind, aufräumt. Denn nur, wenn eine etablierte und von den SpielerInnen respektierte Marke eine Lanze für die vermeintlich mit Wattebäuschen werfenden Weicheier bricht und auch andere diesem Beispiel folgen, kann diese meist unbewusste Schubladisierung aus den Köpfen der ZockerInnen im Speziellen und Menschen im Allgemeinen endlich verschwinden. Nämlich genau dadurch, dass es zum Thema gemacht wird und Leute so mit ihrer falschen und frömmlerischen Einstellung konfrontiert, im besten Fall sogar bloßgestellt werden, und so ein Selbstreflexions- und Umdenkprozess in Gang kommt.
Besonders schön finde ich, wenn dieses Statement der NetherRealm Studios schwule Gamer ermutigt, sich als direkte Betroffene zu äußern und sich zu öffnen, was den Diskurs weiter fördert. BlueD0212 schreibt im oben genannten Forum beispielsweise: „Als Schwuler freue ich mich, dass es einen Charakter im Spiel gibt, mit dem ich mich identifizieren kann. Dieses ganze Religionsding und Nicht-akzeptiert-Werden ging mir ziemlich nahe. Außerdem hat seine hinterlistige Art so auch mehr Sinn. Nicht komplett akzeptiert zu sein bringt Leute dazu, Regeln und Autorität nicht zu respektieren. Es ist traurig, dass die Leute einen Charakter nicht einfach schwul sein lassen können. Haben sie euch schwulen Sex vor die Nase gesetzt und euch gezwungen, zu realisieren, dass ihr niemals Manns genug sein werdet, einen anderen Mann zu f*****? Nein! Sie haben lediglich eine Dialogzeile eingebaut, ein offizielles Statement abgegeben, und schon verliert jeder seinen Verstand!“
Das Statement hilft allen
Die Stellungnahme zu Kung Jins Sexualität in Mortal Kombat X hilft aber nicht nur Homosexuellen. Wir alle, deren Passion seit vielen Jahren das Zocken ist und die dafür von einem Gros der Öffentlichkeit als Chips fressende, pickelige Kellerkinder gesehen werden, profitieren auch davon.
Kunst hat unter anderem die Aufgabe zu polarisieren, zu provozieren und starke Gefühle in uns zu wecken. Genau das tut Mortal Kombat X damit. Es regt auf und zu Diskussionen an. Und seien wir mal ehrlich: Eine derartige zeit- und gesellschaftspolitische Äußerung erwartet man eher von einem Indiegame, aber nicht von einer Spielereihe, deren bisherige Leistung es war, Gewalt zu verherrlichen und Frauen überzeichnet sexualisiert mit gigantischen Brüsten in knappen BHs und noch kürzeren Höschen darzustellen.
Ein Plädoyer gegen Homophobie und mehr …
Wenn solche zeitgeistkritischen Stellungnahmen vermehrt in großen massentauglichen Produktionen vorkommen – Shout out an alle großen Game-DesignerInnen, sich an BioWare und jetzt auch NetherRealm ein Beispiel zu nehmen –, dann wird vielleicht auch irgendwann der Gesellschaft, die nicht nur sexuell alternativ lebende Menschen ausgrenzt, sondern auf die eine oder andere Weise auch uns „Nerds“, die Daseinsberechtigung unseres Hobbys bewusst, weil es eben die Kriterien für Kunst erfüllt und genau wie diese ernst genommen werden muss.
Bis es so weit ist, wird es noch eine ganze Weile dauern, aber vielleicht bringt ein Statement, wie es NetherRealm in Mortal Kombat X abgegeben hat, in Zukunft keine 35-seitige Forendiskussion mehr hervor. Vielleicht eröffnet in Zukunft jemand in einem Gamer-Forum einen Thread, der dann den Titel „Is Character XY gay?“ trägt, und hoffentlich kommt es dann anstatt zu einer ellenlangen Für-und-Wider-Diskussion nur zu einer einzigen Antwort wie von User YOUMEANDEVERYONE, und zwar: „Wayne interessierts?“