Bloodborne (PS4) im Test
Bloodborne ist der geistige Nachfolger der Souls-Reihe, und das merkt man schon nach wenigen Minuten, wenn der eigene Avatar das erste Mal ins Gras beißt. Wie sich der Rollenspielbrocken spielt, wie gut der Umstieg von Fantasy auf Horror und Steampunk funktioniert und ob sich Bloodborne sogar von seinen geistigen Vorgängern absetzen kann, erfahrt ihr in meinem Test.
Den Spielspaß erarbeiten
Bloodborne ist im Kern ein Rollenspiel – und doch so viel mehr! Der neue PS4-Titel, wie auch in der Vergangenheit die Souls-Teile, profitiert stark von seinen „europäischen“ Settings (düster und im Fantasy-Bereich angesiedelt bzw. in Bloodborne im viktorianischen Steampunk), hält sich aber gleichzeitig kaum bis gar nicht an westliche Konzepte. Es gibt eine marginal erzählte und offene Story, und es existieren keine Tutorials, Hinweise oder Ähnliches, mit denen SpielerInnen in anderen Titeln an der Hand genommen werden. Ohne irgendeine Anleitung wird man in eine (sich nicht selbst erklärende) Welt geworfen und muss sich darin zurechtfinden. Zusätzlich lauert der Tod hinter jeder Ecke. Auch wenn das alles auf den ersten Blick hart und anstrengend wirkt, schafft es Bloodborne, die richtige Balance zwischen Schwierigkeitsgrad, Lernkurve und Belohnung zu finden – auch wenn man in manchen Situationen die Nerven verliert. Diese extreme Erfahrung bietet vor allem Core-SpielerInnen eine Abwechslung von Games, die sich fast von allein durchspielen. Bloodborne bietet knifflige, aber faire Herausforderungen und traut ZockerInnen etwas zu, was Spiele ihren ZockerInnen heutzutage nur noch selten zutrauen: spielerisches Verständnis und Intelligenz.
„Töte ein paar wilde Bestien“
Ein hervorragendes Beispiel für das raue, aber interessante Spielkonzept ist der Anfang des Spiels: Nachdem man einen Charakter erstellt hat, findet man sich nach einem schnellen, aber ausnahmsweise vom Spiel so geplanten Ableben in einer Art Traumwelt wieder. Dort sitzt ein Mann in einem Rollstuhl und erklärt kurz, man sei Jäger – über die Hintergründe dieser Berufswahl solle man sich keine allzu großen Gedanken machen –, und schließt mit folgendem Satz seinen Monolog ab: „Gehe nach Yharnam und töte ein paar wilde Bestien!“ Viel mehr ist über die Rahmenhandlung zu Beginn nicht bekannt. Erst durch das Erkunden der Stadt findet man neue Storyfetzen, die nach und nach ein größeres Gesamtbild ergeben können, aber nicht müssen, denn das Spiel lässt den SpielerInnen sehr viel Raum für eigene Interpretationen. Wer ist der Mann im Rollstuhl, wo gibt es ein Heilmittel gegen die wütende Seuche, und wer ist hier überhaupt gut oder böse?
Bloodborne erzählt viele seiner Geschichten passiv: Ihr seht beispielsweise ein altes, zerstörtes Gemäuer, dem man normalerweise nicht weiter Beachtung schenkt. Doch mit dem nötigen, erforschten Hintergrundwissen lassen sich manche geschehene Zusammenhänge erahnen. Durch diese Art der Erzählung entstehen viele verschiedene Interpretationsmöglichkeiten: Die Foren sind voll von SpielerInnen, die begeistert eigene Theorien über die Welt und die BewohnerInnen von Bloodborne aufstellen. Die Erzählweise ist daher alles andere als linear bzw. eindeutig, und das Spiel verhält sich wie in allen anderen Punkten: Man muss als SpielerIn Zeit investieren, erhält dadurch aber auch ein sehr schönes und besonderes Erlebnis. Ob ich das aber tatsächlich mache, überlässt mir das Spiel. Gespannt kann ich den spärlichen Dialogen und Geschehnissen folgen, oder mich aber stattdessen voll und ganz auf die Monsterjagd und das Verbessern meines Charakters konzentrieren.
Schneller, gefährlicher, tödlicher
Das bringt mich auch schon zum nächsten und wichtigsten Punkt von Bloodborne – den Kämpfen. Diese sind die Königsdisziplin, da man sofort ins kalte Wasser geworfen wird: Schon die ersten Gegner(-horden) kennen kein Erbarmen. Während man in Dark Souls unter anderem noch langsame, gut gepanzerte Helden spielen konnte, wurde das Gameplay von Bloodborne entschlackt und setzt nun voll und ganz auf wendige Kämpfer. Die flinken Krieger verfügen aber weiterhin über ein großes und ausgereiftes Move-Set, das eines Souls-Spiels allemal würdig ist. Egal, wie man spielt, der eigene Charakter trägt immer eine Schuss- und eine Nahkampfwaffe bei sich. Gerade die Waffentransformation, die aus einer einhändigen Nahkampfwaffe eine zweihändige, durchschlagskräftige, dafür aber langsamere macht, fällt bei Bloodborne viel stärker ins Gewicht. Durch die aggressiveren Gegner muss man blitzschnell den eigenen Kampfstil an die jeweilige Situation anpassen, was nach kurzer Eingewöhnungsphase intuitiv und gut funktioniert. Die Schusswaffen verfeinern zusätzlich den taktischen Anspruch, da diese Konter bzw. Unterbrechungsangriffe einleiten können.
Skill-Upgrade
Das Besondere an den Kämpfen ist auch weiterhin die großartige Balance und die damit einhergehende Lernkurve. Nicht nur der eigene Charakter wird mit fortlaufender Spieldauer besser, auch man selbst bekommt die Steuerung besser in den Griff und entwickelt taktisches Geschick. Man lernt als SpielerIn also ständig dazu und verbessert damit die eigenen Fähigkeiten – und nicht nur jene des Helden. Zudem gilt auch hier das Motto „Hart, aber fair“. Schafft man einen der vielen, cool gestalteten Endbosse nicht, liegt das Ableben zumeist am eigenen Fehlverhalten. Natürlich gehört es auch dazu, in den Kampfsituationen die Geduld zu wahren und ein gewisses Maß an Frustresistenz mitzubringen. Hat man dann aber einen besonders schwierigen Levelabschnitt geschafft, ist die Freude darüber umso größer.
Nervenkitzel
Für zusätzlichen Nervenkitzel sorgen die Blutechos, die Währung des Spiels, mit denen man sowohl Levelaufstiege als auch Waffen-Upgrades und Gegenstände kaufen kann. Die Punkte der Levelupgrades sind frei verteilbar und können z. B. in Ausdauer oder Stärke gesteckt werden, weshalb es keine Klassen gibt – der Charakter kann frei gestaltet werden. Das Attributsystem wurde entschlackt und ist nun verständlicher; ein Upgrade macht sich bemerkbarer als noch in den Souls-Teilen. Der raffinierte Kniff an den Blutechos ist, dass sie beim eigenen Tod am Ort des Ablebens verbleiben. Man startet dann beim letzten Checkpoint neu, und alle Gegner sind wieder da. Das Ziel ist es daher, sich wacker wieder an Ort und Stelle des Ablebens zurückkämpfen, um die mühselig ergaunerten Blutechos zurückzuerlangen. Stirbt man auf dem Weg dorthin erneut, verschwinden auch die liegen gelassenen Blutechos! Das klingt zunächst nach einer bösartigen Strafe, da so das Aufleveln und Verbessern der Spielfigur verwehrt wird, macht aber auch den Reiz des Spiels aus. Man rennt nicht wie in anderen Rollenspieltiteln einfach durch, sondern geht überlegt vor, hat Angst, da überall eine Falle lauern kann, und ist ständig mit Adrenalin vollgepumpt. Diese Anspannung entsteht aber gerade dadurch, dass man etwas zu verlieren hat, wodurch die Kämpfe noch einmal spannender und intensiver werden. Besonders bei den großartig fiesen Bossen wird das Gamepad bis aufs Letzte strapaziert.
Menschliches Handeln
Noch schlimmer rast mein Herz nur dann, wenn unbekannte SpielerInnen in meine Welt eindringen, denn auch PvP ist in Bloodborne möglich. Durch spezielle Gegenstände kann man, wie auch schon in Dark Souls, MitspielerInnen herbeibeschwören, um so Unterstützung zu erhalten. Im Umkehrschluss ist es selbstverständlich auch möglich, andere Welten zu betreten, um dortige SpielerInnen zu bekämpfen. Nun sind die Angst und die Spannung um die Blutechos gegen NPCs schon sehr groß. Bei echten Menschen aber steigen diese gerade bei den ersten paar Malen ins Unermessliche. Stirbt man, verliert man alles. Gewinnt man jedoch, erhält man die Blutechos des/der getöteten SpielerIn und erhält dadurch eine große Belohnung. So kann man in das ohnehin schon riesige Spiel noch weitere unzählige Stunden im packenden PvP verbringen, ohne sich dabei jemals zu langweilen. Zudem gilt: Geteiltes Leid ist halbes Leid – denn die spielerische Unterstützung ist in vielen Situationen unglaublich hilfreich und belebt zudem die einsame Welt.
Das Kelchritual
Abseits der normalen Storypfade gibt es in Bloodborne enorm viel zu entdecken. Neben unzähligen Waffen und Rüstungsteilen, die man durch die vielen versteckten Rätsel des Rollenspiels entdecken kann, gibt es zufallsgenerierte Dungeons zu durchforsten. Mit der Hilfe eines Kelchrituals wird ein Grab zum Eingang von fiesen, zufallsgenerierten Dungeons umfunktioniert. Diese Abschnitte sind sehr kompakte Herausforderungen und enthalten Fallen wie von der Decke schwingende Klingen oder Feinde, die durch Dimensionslöcher erscheinen. Selbstverständlich warten in den Dungeons immer Zwischen- und Endbosse, die besonders starke und mächtige Items fallen lassen. Wie schon in der gesamten restlichen Welt können auch diese Dungeons miteinander oder gegeneinander in Angriff genommen werden.
Der Wahnsinn
In Yharnams Straßen breitet sich eine bedrohliche Seuche wie ein Lauffeuer aus. Die „Bestienkrankheit“ hat die Stadt unter Kontrolle und verwandelt friedliche BürgerInnen in blutrünstige und tödliche Kreaturen. Jede Nacht findet in Yharnam die Bestienjagd statt, die die Straßen mit dem Gestank von Blut und Tod erfüllt. Neben diesem düsteren Setting gibt es viele kleine und große Geheimnisse zu entdecken, die die Stadt aber erst nach sehr genauem Erkunden preisgibt. Immer wieder stößt man auf Ereignisse oder Schauplätze, die den Schleier ein wenig heben, aber doch nicht ganz aufdecken. Außerdem geht es auch um das Gute bzw. Böse im Menschen, wobei Bloodborne dies nicht mit einer klassischen Schwarz-Weiß-Zeichnung darstellt. Vielmehr gewinnt man das, was auch die „Einsicht“, ein eigener Wert im Spiel, ist. Ähnlich wie die moralische Tendenz bei Dark Souls spiegelt die Einsicht den Wahnsinn des Charakters wieder. Umso mehr nicht menschliches Wissen man anhäuft, umso seltsamere Dinge geschehen in der Welt. Schade ist dabei aber, dass es nur wenige moralische Entscheidungen gibt. Die Optionen, die man wählen kann, sind zudem situationsabhängig und wirken sich nicht auf das Gesamtgeschehen aus.
Fazit
Trotz kleinerer Durchhänger und des nicht zur Gänze ausgenutzten Wahnsinns ist Bloodborne ein Rollenspiel, das seinesgleichen sucht. Durch die ständige Herausforderung und die zusätzliche Verlustangst (durch den nächsten Tod) entsteht ein packendes und adrenalingetriebenes Gameplay, das man sonst in kaum einem anderen Rollenspiel finden kann. Weiters hat Bloodborne eine ungeheure Tiefe, was sich in der schieren Masse an versteckten Items und Geheimnissen widerspiegelt. Mit der Stadt Yharnam wurde ein frisches Setting geschafft, das sich von klassischen Fantasy-Welten loseist und die SpielerInnen in eine düstere, viktorianische Steampunk-Welt eintauchen lässt. Durch das frische Konzept und das abgespeckte, aber nicht weniger komplexe Charaktersystem hebt sich Bloodborne zudem auch angenehm von den Souls-Spielen ab – auch wenn es im Kern doch das Grundprinzip der Vorgänger geerbt hat. Für mich ist Bloodborne eine großartige Erfahrung und für PS4-BesitzerInnen mit einer ordentlichen Menge an Frustresistenzein ein absoluter Pflichtkauf.