Bitte keine neue Killerspiel-Debatte!
Da ist sie wieder. Die Debatte über gewaltverherrlichende Videospiele. Nachdem der Amokläufer von München zuerst neun PassantInnen, und anschließend sich selbst richtete, sucht die Politik nun nach passenden Sündenböcken.
Was ist ein Deutsch-Iraner?
Gesellschaftskritik ist hier fehl am Platz, wenn der Attentäter medial schon als „Deutsch-Iraner“ abgestempelt wird. Was bitteschön ist denn ein Deutsch-Iraner? Wäre es zu viel des Schuldeingeständnisses, den Mann einfach als Deutschen zu bezeichnen? Wenn die Rechten in Rostock schon ihre Molotov-Cocktails anrühren. Und die Linken sich öffentlich zu dem Wunsch outen, dass es doch diesmal bitte ein „Inländer“ sein solle, dann ist das aus meiner Sicht schon verkehrte Welt.
Was hat Counterstrike damit zu tun?
Und jetzt kommt der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière und will herausgefunden haben, dass das Amokschütze Counterstrike Source gespielt haben soll. Aha. Darüber hinaus war er männlich, und Deutsch-Iraner. Zugegeben, die Häufung ist schon auffällig. Egal ob Breivik, Robert Steinhäuser, der Amokschütze von Erfurt, oder jetzt der Deutsch-Iraner Ali S. – allesamt sollen sie den Valve-Shooter konsumiert haben. Haben die AmerikanerInnen denn einen sublimen Amok-Trigger in den Shooter eingebaut?
Ich persönlich denke, es ist in erster Linie eine Frage, wonach man sucht. Wurde überprüft, ob nicht vielleicht alle drei den 1999er Kinoerfolgshit „Die Matrix“ gesehen haben? Vielleicht liegt es ja auch daran. Oder vielleicht haben zufällig alle Amokschützen am Vorabend etwas Ähnliches gegessen. Wurde das untersucht? Nein, die CSI:Killerspiel hat zielsicher das nächst-naheliegende getan: Nachgesehen, ob der Täter Counterstrike gezockt hat.
Der Killerspiel-Generalverdacht
Werden nun alle Counterstrike SpielerInnen unter Generalverdacht gestellt? Kommt sie jetzt wieder, die von Polemik und selbsternanntem Expertentum triefende Killerspieldebatte? Die Angehörigen der Opfer des München-Anschlages haben mein tiefstes Mitgefühl. Dennoch möchte ich sie bitten, sich in dieser dunklen Stunde nicht mit Pauschalurteilen abfertigen zu lassen. Sie haben ein Recht auf zielgerichtete Aufklärung und rasche politische Lösungen.
Aber die Lösung kann nicht sein, ein Unterhaltungsmedium, dass vielen Menschen Freude und Kurzweil beschert für das Versagen einer kleinen Handvoll Menschen verantwortlich zu machen. Deutschland hat bereits eines der schärfsten Jungendschutzgesetze der Welt. Wie wäre es, statt Verboten wieder einmal die Bildung, die Bewusstseinsförderung und die Prävention in den Vordergrund zu stellen?
Die Politik ist gefragt
Schon der Rapper DMX hat gesagt: Waffen töten keine Menschen. Menschen töten Menschen. Was Deutschland, Europa und die ganze Welt in einer Zeit des Terrors und der Angst brauchen, sind menschliche Politiker, die Politik für die Bevölkerung machen. Solange die Armut und die Arbeitslosigkeit steigen, wird es immer Menschen geben, die unzufrieden sind. Die Hemmschwelle zum Ergreifen einer Waffe mag durch gewaltverherrlichende Spiele wie Carmageddon oder Doom herabgesetzt werden, aber der Funke des Anstoßes für eine solche Tat ist in gesellschaftspolitischen Zuständen zu suchen, nicht in Videospielen.
Es würde schon helfen, Ali S. nicht als Counterstrike-spielenden Deutsch-Iraner abzustempeln, sondern ihn als verzweifelten Menschen anzuerkennen, der den Sinn im Leben verloren hat. Die Probleme des Attentäters zu thematisieren, anstatt irgendwelcher Eckdaten, würde ein Zeichen setzen. Es geht darum Menschen mit ähnlichen Problemen und Schicksalen die Hand zu reichen. Zuzuhören. Ihnen Hilfe anzubieten. Nur so können blutige Anschläge, wie der in München am Freitag, den 22. Juli 2016 verhindert werden.
PS: Wie sich Carmageddon auf Max’ Gehirn ausworkt, könnt ihr übrigens hier nachlesen
[…] lesen PolitikerInnen solche Studien, bevor sie GomputerspielerInnen unter Generalverdacht stellen. Denn längst hat die Videospiele-Industrie Hollywood und Co umsatztechnisch weit hinter […]
[…] Bitte keine neue Killerspiel-Debatte! […]
Ich muss sagen, ich freue mich sehr über die rege Diskussionsbereitschaft und die vielen, teils sehr fundierten und gewählt formulierten Meinungen zu dem Thema! Es zeigt aber auch, dass mein Wunsch – eine Debatte über Killerspiele zu vermeiden – nicht standhält. Diese Debatte wird unvermeidbar sein. Es zeigt aber auch, dass aus GamerInnen mittlerweile mündige und ernst zu nehmende Erwachsene geworden sind, die auch bereit sind sich der Diskussion zu stellen! Das war in den 2000ern, als Erfurt das bestimmende Thema war, noch anders. Wenn man Polemik mit Gegenpolemik kontert (da geb ich dir schon recht, striver :-)), wie mit… Read more »
Interessanter Beitrag zu einem äußerst komplexen Thema, das uns gerade mit dem VR-Hype noch lange beschäftigen wird. Ich finde das reflexartige Aufwärmen der Debatte fügt sich nahtlos in die gesellschaftspolitische Grundtendenz mit der wir momentan ständig konfrontiert werden: je komplexer die Problemstellungen werden mit denen wir uns konfrontiert sehen, desto größer wird das Potential mit fatal verkürzten Kausalzusammenhängen Zuspruch zu finden. Moralisch verwerflich ist weniger das Bedürfnis überforderter, verängstigter Menschen nach Antworten, sondern die Bereitschaft seitens der Politik dieses schamlos auszunutzen. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee eine Mauer um Conterstike zu bauen oder FPS-Spielern die Einreise zu… Read more »
Erst mal: ich bin kein Fan von Filmen und Spielen, die dem Konsumenten durch möglichst realistisch dargestellte Blutorgien einen Kick verschaffen. Ich kann nur unfundierte Mutmaßungen anstellen über die mentale Disposition derer, die solche Spiele als netten Zeitvertreib konsumieren. Ich stimme dem Autor uneingeschränkt zu, dass in der Debatte Ursache und Wirkung nicht ordentlich getrennt werden. Ein Amokläufer wird nicht zu einem solchen, weil er Doom o.Ä. spielt. Und Doom ist auch keine Waffe. Dennoch habe ich Schwierigkeiten mit den beiden Vergleichen: dem Waffen- und dem Pizzavergleich. Die Verfügbarkeit von Waffen hat einen gewaltigen Einfluss auf die Zahl der Gewalttaten.… Read more »
Sehr gut geschrieben! Ich stimme dir zu 100% zu. Diese Treibjagt auf “Killerspiele” (alleine der ausdruck ist lächerlich) ist, und war schon seit CounterStrike 1.6 extrem lächerlich. Da merkt man dass diese Dinosaurier in der Politik (Herr Thomas de Maizière mit eingeschlossen) keine Ahnung haben wovon sie reden, aber es für bare münze halten wenn ihnen ein vermutlich selbst ernannter Spezialist erzählt das kommt von Shootern oder dergleichen. Es gibt Zig Studien die zeigen dass “killerspiele” in keinerlei Zusammenhang mit Gewaltbereitschaft oder Amokläufen stehen. Es gibt so viel schlimmere Shooter als Counterstrike, und dennoch wird immer wieder der Name auftauchen,… Read more »
Hallo, und vielen Danke für deinen Beitrag im Beyondpixels-Forum. Es freut mich zu hören, dass wir einer Meinung sind. Da sich die aufkeimende Debatte wohl kaum mehr vermeiden lässt, finde ich auch wichtig, dass BranchenvertreterInnen aus der Gamesindustrie, der Filmindustrie etc. eine starke Front gegen die Pauschalverurteilungen bilden. Die Pizza-Theorie sollten wir auf jeden Fall auch weiter verfolgen, da ist mit Sicherheit was dran! 🙂