Das Ende der Konsequenz: Was Spiele heute falsch machen
Zum 20 Jährigen Jubiläum von Diablo habe ich eines meiner absoluten Lieblings-Spiele mal wieder aus der Schublade geholt, um eine Runde Retro-Feeling aufkommen zu lassen: Diablo 2. Der 16 Jahre alte Klassiker unter den Hack & Slash-Games weist trotz Holzklassen-Komfort und Pixelgrafik immer noch einen sehr hohen wiederspiel-Faktor auf. Und in der Tat habe ich mich gleich mehrere Abende in Folge in Alt-Tristram verloren. Den Grund dafür sehe ich nicht nur in Blizzards unfehlbarem Gespür für gutes Gameplay, sondern auch in einem Spielprinzip, das im vergangenen Jahrzehnt in Vergessenheit geraten ist: Die Konsequenz!
Der konsequenzlose Niedergang
Ein alter Leitspruch für Eltern lautet: Kinder brauchen Grenzen! Das gilt meines Erachtens auch für Gamer. Zwei Mega-Trends haben das Gaming des 21. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Einer davon ist Grenzenlosigkeit. Die Grenzenlosigkeit macht sich am besten in Open-World Games bemerkbar. The Witcher, GTA und No Mans Sky. Sie alle werben mit extrem großen, schier unüberschaubaren Welten um die Gunst der GamerInnen. Doch auch die Grenzen zur Realität verschwimmen immer stärker. Modernere Grafik, virtuelle Realität und künstlicher Intelligenz sorgen dafür, dass unsere Gaming-Erfahrungen immer realitätsgetreuer und grenzenloser werden.
Ein weiterer Leitspruch in der Erziehung lautet: Kinder müssen lernen, für ihr Handeln Konsequenzen zu tragen. Und wie dieses Prinzip in der neumodernen Gesellschaft immer stärker in Vergessenheit gerät, sorgt auch der zweite Megatrend im modernen Gaming für den sukzessiven Wegfall von Konsequenzen: Das Casual Gaming. Bei Diablo 2 ist mir das erst wieder so richtig bewusst geworden. Wenn ich mich hier Hals über Kopf ins Getümmel stürze, blüht mir als Konsequenz der rasche HeldInnentod. Wo mich Diablo 3 einfach auferstehen, und an Ort und Stelle weitermachen lässt, muss ich im Vorgänger erst mal halbnackt zum Ausgangspunkt meines Scheiterns zurückrennen. Ein Teil meines Taschengeldes zollt dabei meiner Fahrlässigkeit Tribut. Eine weitere knallharte Konsequenz blüht mir, wenn ich vergesse, mich vor dem Aufbruch ins Brachland mit Stadtportalen und Heiltränken einzudecken. Nichts ist erniedrigender, als aus einem aussichtslosen Kampf entfliehen zu wollen, um dann festzustellen, dass das letzte Stadtportal Opfer meiner blinden Sammelwut geworden ist.
Diablo 2 bestraft SpielerInnen
Ich will hier gar nicht erst anfangen von hoffnungslos verskillten Charakteren zu sinnieren. Das wurde dank einmaliger Zurücksetzbarkeit der wertvollen Punkte pro Schwierigkeitsgrad in einem der letzten Patches ohnehin schon großzügig entschärft. Der langen Rede kurzer Sinn: Diablo 2 bestraft mich hart für Unachtsamkeit. Das ist noch nicht einmal unfair, weil ich es ja selbst in der Hand gehabt hätte, das Beste aus meiner Situation zu machen. Die Konsequenzen für mein fahrlässiges Handeln muss ich selbst tragen, und nächstes Mal werde ich besser achtgeben.
Ein weiteres Beispiel aus meiner eigenen Gaming-Vergangenheit ist Super Mario Land für den Gameboy. Damals gab es noch keine Save-Funktion in den grauen Cartridges, geschweige denn in der Konsole selbst. Vor dem Endboss Tatanga das letzte Leben auszuhauchen bedeutete unweigerlich, und gnadenlos: Von vorne anfangen! Nicht am Anfang des Levels, nein – am Anfang des Spiels! Diese Konsequenzen waren es, die uns zu knallharten GamerInnen gemacht haben, und die uns oft Stunden, ja Tage oder Wochen an einer Aufgabe nagen ließen.
Ohne Konsequenz keine Motivation
In den vergangenen Jahren ist diese Härte im Gaming einer seichten Entertainment-Berieselung gewichen. Die neumodernen Shooter geleiten uns wie auf Schienen von einem Autosave-Checkpoint zum nächsten. Wer in Diablo III stirbt, rennt einfach wieder drauflos. Mit vollem Equipment, ohne Geld- oder Fertigkeitsbußen in Kauf nehmen zu müssen. Wer mit seinen Fertigkeiten unglücklich ist, wechselt sie einfach. Jederzeit. Kostenlos. Mit wenigen Mausklicks. Diese Hop-On-Hop-Off-Mentalität ist zwar bequem, und erlaubt es mir, meinen Alltag und Spiele besser miteinander in Einklang zu bringen. Der Mangel an Herausforderungen ist es aber, der mich als Gamer verweichlichen lässt.
Wo keine Herausforderungen und keine Konsequenzen mehr sind, da bleiben auf lange Sicht auch die Motivation und der Spaß auf der Strecke. Ein Spiel, das mich nicht an meine Grenzen treiben kann, mir aber selbst vorgaukelt, grenzenlos zu sein, ist eigentlich kein Spiel mehr. In vielen Fällen sind Spiele heutzutage Hardware-Benchmarks für meinen PC, seichte Abendunterhaltung oder schlichtweg Grafik-Pornos. Wenige Ausnahmen fernab der ausgetrampelten Triple-AAA-Pfade bestätigen die Regel. Und oft steckt in ihnen das Prädikat „Indie“, oder „Retro“. Diese Games besinnen sich auf die alten Tugenden, und vereinen geschickt modernen Komfort mit alter Härte.
Diablo 2 hat mich nicht nur gelehrt, dass Konsequenzen wichtig fürs Gaming sind. Es hat mich sogar wieder auf den Retro-Geschmack gebracht, den ich einst schon verteufelt habe. Auch auf die Gefahr hin, dass es masochistisch wirkt: Liebe Spiele-HerstellerInnen: Bestraft mich wieder mehr!