Schön und grausam: Rain World im Test
Rain World ist eine harte, unbarmherzige, fremdartige und furchteinflößende Welt. Können wir als kleines, verletzliches Schneckenkatzenwesen in ihr bestehen oder sollten wir uns einfach dem Unvermeidlichen beugen und aufgeben?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich hätte am liebsten bereits nach der ersten halben Stunde aufgegeben, so sehr hat mich das Spiel frustriert. Ich verstehe, dass die Intention der EntwicklerInnen war, die Grausamkeit der Welt im Spielerlebnis widerzuspiegeln, doch meiner Meinung nach sind sie weit über das Ziel hinausgeschossen.
Mutterseelen allein
Die Geschichte von Rain World wird zu Beginn in ein paar Standbildern erzählt und bietet genau so viel Rahmenhandlung, wie nötig ist: Wir sind eine kleine Schneckenkatze, die von ihrer Familie getrennt wird und sich so alleine in einer fremdartigen, postindustriellen Welt wiederfindet. Rasch muss sie lernen in der unwirtlichen Umgebung zu überleben. Unsere kleine Spielfigur muss genügend Essen finden, vor Feinden fliehen oder sich mit primitiven Wurfgeschossen gegen diese wehren. Auf der Suche nach ihrer Familie wagt sie sich in immer gefährlichere Gebiete und sucht nach geeigneten Winterschlaf-Plätzen, um vor den häufig herabprasselnden, tödlichen Regengüssen geschützt zu sein. Dazu benötigt es Erfahrung, Geschick und eine Menge Glück.
“Karma is a Bitch”
Nur mit genügend Erfahrung gelingt es, die essentiellen Spielmechaniken zu durchschauen, die einem die minimalistische Einführung von Rain World vorenthält. Ein kleines goldenes Würmchen soll uns zu Beginn des Spiels helfen und den Weg weisen. Dass es nur in kryptischen Symbolen mit uns kommuniziert, passt zwar hervorragend zur fremdartigen Welt, trägt aber leider wenig zum Verständnis der Spielmechaniken bei. Einige zum erfolgreichen Spielfortschritt dringend benötigte Konzept wie zum Beispiel das des Karmas hat es mir nirgends erklärt.
Am linken unteren Rand des Bildschirms wird das Karma unserer Schneckenkatze als Zahl angezeigt und das wir durch den Verzehr besonderer goldener Blumen erhalten. Sterben wir, verschwindet es. Karma verleiht uns einerseits eine Art Schutzschild, sodass wir bei unserem Ableben nur an den letzten Überwinterungspunkt statt des vorletzten zurückgesetzt werden. Andererseits benötigen wir einen gewissen Karmawert, ehe wir bestimmte Areale betreten können. Auch andere wichtige Elemente wie die Zeitanzeige, die vor dem nächsten Regenfall warnt, wird dem Spieler bzw. der Spielerin überlassen.
Mehr Glück als Verstand
Geschick und einer großen Portion Glück hingegen bedarf es, um mit der frickeligen Steuerung von Rain World fertig zu werden. Das Spiel fordert ein genaues Steuern der Spielfigur, erlaubt es jedoch an keiner Stelle. An Orten ohne Feinde mag es lästig sein, eine Stelle erst nach mehreren Anläufen zu erreichen, weil sich die Spielfigur partout nicht an einer Stange festhalten oder einen Sprung nicht wie gewünscht ausführen möchte. In Arealen mit Gegnern ist es höchst frustrierend, Tode aufgrund der ungenauen Steuerung zu erleiden.
So passierte es mir mehr als einmal, dass ich von Echsen verfolgt wurde, in einen Tunnel fliehen wollte und mich das Spiel in eine kleine Einbuchtung direkt neben dem rettenden Rohr bugsierte, die zu klein war, um mich völlig darin zu verkriechen und geschützt zu sein. Ehe ich wieder herauskriechen konnte, hatte mich die böse Echse natürlich geschnappt. Manchmal schlittert der seltsam wendige Körper der Spielfigur auch rückwärts in eine Röhre, was ihre Bewegungen viel langsamer macht. Und sich umzudrehen dauert auf einer hektischen Flucht viel zu lange.
Ich könnte hier noch mindestens zehn weitere Beispiele nennen, was mich in Rain World vor Unverständnis und Wut aufheulen ließ, von der unbeholfenen Anwendung von Wurfgeschossen bis hin zur Unvorhersehbarkeit des gegnerischen Verhaltens. Dass uns die mechanische Komponente von Rain World derart im Stich lässt ist schade, denn die auf eine traurig-morbide Art wunderschöne grafische Gestaltung sowie die anmutigen, fließenden Animationen hätten mit soliden Spielmechaniken eine wunderbare Erfahrung bieten können.
Die Schwierigkeits-Debatte
Ich habe in den oberen Absätzen zwar nicht explizit das Wort verwendet, dennoch dürfte klar geworden sein, dass Rain World ein außerordentlich schwieriges Spiel ist. Und weil seit ein paar Jahren in allen Diskussionen über die Schwierigkeit von Videospielen jedesmal Dark Souls bemüht werden muss, will ich das hier auch tun, um ein wenig deutlicher zu machen, warum mich das eine Spiel fasziniert das andere in den Wahnsinn treibt:
Dark Souls erklärt einem zu Beginn zwar nur die nötigsten Spielmechaniken, dennoch werden wirklich alle Spielmechaniken erklärt, die man zur Vollendung des Spiels benötigt. Weitere Mechaniken existieren, doch sind sie nicht essentiell zur bloßen Vollendung des Spiels. Rain World hingegen verschweigt äußerst wichtige Mechaniken, die man sich mit viel Zeit eigenhändig erarbeiten muss. Dark Souls basiert beim ersten Durchgang eines Gebiets ohne Frage teilweise auf Trial&Error, doch dadurch, dass die Gegner stets am selben Ort plaziert sind und vorhersehbare, erlernbare Verhaltensmuster besitzen, wird das Spiel mit jedem Durchgang leichter. Die stets zufällig platzierten Feinde von Rain World und deren erratisches Verhalten hingegen werden einer meist wehrlosen Spielfigur leicht zum Verhängnis. Weiters ist die Steuerung in Dark Souls äußerst präzise, während die Schneckenkatze in Rain World die Hälfte der Zeit nicht das tat, was ich von ihr mit meinen Tastenbefehlen verlangte.
Das Erfolgserlebnis in Dark Souls beruht darauf, zunächst unmöglich erscheindende Aufgaben durch sorgfältiges Vorgehen, Austesten neuer Taktiken und Erkennen tückischer Gebiete sowie Erlernen von Verhaltensweisen der Gegner zu meistern. Durch das vorherige Scheitern wird das Glücksgefühl nach der bestandenen Herausforderung umso größer. Diesen Ansporn bietet Rain World hingegen nicht. Erfolg und Scheitern sind stark von vom Spieler nicht beeinflussbare Faktoren bestimmt.
Fazit
Die mangelnde Einführung in die Spielmechaniken und die die schwammige Steuerung gepaart mit der schlechten Lesbarkeit der Spielumgebung und den Zufallselementen sorgen dafür, dass man sich in Rain World ständig überfordert und unfair behandelt fühlt. Die Welt von Rain World ist hart, unbarmherzig und unfair. – Das Spiel leider auch.