Schaurig schön: Little Nightmares im Test
In Little Nightmares übernehemen wir die Kontrolle über ein kleines mit gelbem Regenmäntelchen bekleidetes Mädchen namens Six. In den Tiefen des “Schlunds” erwachen wir in einem Koffer und machen uns auf den gefahrenvollen Weg, aus diesem zu entkommen.
Dem Albtraum entfliehen
Hat man in den ersten Räumen noch Gelegenheit, sich in Ruhe mit den grunlegenden Spielmechaniken vertraut zu machen, lauern schon bald Feinde auf Six, vor denen sie sich verstecken, davonlaufen oder an denen sie vorbeischleichen muss, um weiterzukommen. Die kleine, wehrlose Six mit ihren hastig tapsenden Füßen schließt man dabei sofort ins Herz und möchte sie um jeden Preis von diesem schrecklichen Ort befreien.
Neben Feinden blockieren auch banalerer Dinge, wie verschlossene Türen oder zu hohe Barrieren, Six’ Weg. In meist einfachen Rätseln schiebt man Kisten umher, springt über Abgründe, trägt Gegenstände zu ihrem angestammten Platz, betätigt Hebel oder wirft Dinge auf zu hoch gelegene Schalter. Manche Sektionen, in denen man reaktionsschnell agieren muss, lassen sich kaum beim ersten Mal schaffen, wenn man von ihnen überrascht wird. Doch die Checkpoints sind so fair gesetzt, dass es kaum stört, sich an diesen Abschnitten mehrmals versuchen zu müssen. Die Rätsel in Little Nightmares bieten im Grunde genommen nichts, was man nicht schon zuvor gesehen hätte, lassen einen aber doch hin und wieder stehen bleiben und über die Lösung grübeln. Die gelungene Mischung aus den hektischen Verfolgungsjagden, nervenaufreibenden Schleichpassagen und ruhigeren Rätsel- sowie Platforming-Passagen lässt das Spiel stets unterhaltsam bleiben.
Zum Sterben schön schaurig
Wenn das Gameplay von Little Nightmares gut ist, so ist dessen Art- und Sounddesign exzellent. Alle Puzzleteile greifen perfekt ineinander, um Little Nightmares vor schaurig schöner Atmosphäre triefen zu lassen. Die Kreaturenmodelle gehören zum Groteskesten was ich seit langem gesehen habe und werden durch zahlreiche Animationen und Artikulationen unheimlich lebendig. Auch die extrem detailliert ausgearbeiteten Kulissen tragen mit ihren matten Farben, abblätternden Tapeten und schiefen Winkeln zum Gruselmärchen-Flair bei. Immer wieder zoomt die Kamera hinaus und lässt die Gewalt der Umgebung im Vergleich zu unserer winzigen, wehrlosen Spielfigur auf uns wirken. Das Spiel mit Licht und Schatten wurde in Little Nightmares nahe der Perfektion umgesetzt, um die passende Stimmung zu erzeugen und das Auge des Spielers bzw. der SpielerIn auf wichtige Punkte zu lenken.
Fehler im Traumgewebe
Doch natürlich ist selbst in einem so grandios inszenierten Albtraum wie Little Nightmares nicht alles perfekt: Durch die recht starre Perspektive lassen sich Abstände, die in das Bild hinein gehen, nur sehr schwer abschätzen, was mich mehr als einmal in den Tod befördert hat. Auch die Steuerung will hin und wieder nicht so richtig, was mir vorwiegend bei Kletterpassagen aufgefallen ist, bei denen sich Six manchmal nur von einer bestimmten Seite oder Stelle aus auf einen Vorsprung zieht oder weiter kraxelt. Darüber hinaus ist mir ein einziges Rätsel negativ aufgefallen, dessen Lösung sehr eng gedacht war, und das meiner Meinung nach auch auf andere, offensichtlichere Art zu lösen hätte sein sollen. Doch das ist eine kleine Beschwerde.
Manche werden sich vielleicht auch an dem Ende stören, das etwas abrupt kommt. Zwar ist die Reise von Six gebührend zu Ende erzählt, aber über 2 oder 3 weitere Level hätte ich mich durchaus nicht beschwert. Auch wenn ich natürlich immer ein knackiges, kurzes Spiel einem vorziehe, dass seine Zeit mit Ideenrecycling und Füllmaterial künstlich streckt.
Little Nightmares tanzt den Limbo
Wenngleich es all seine Komponenten außergewöhnlich gut in sich vereint: Little Nightmares erfindet das Rad bei weitem nicht neu. Spielweise, Stimmung sowie Präsentation lassen stark an andere Puzzle-Platformer wie Limbo, Inside oder auch Unravel denken. Nehmen wir uns also zum Abschluss noch einen Moment Zeit, um Little Nightmares ein wenig mit Limbo zu vergleichen:
Limbo gebührt ohne Frage die Flagge auf dem davor unbemannten Mond der bedrückend-schaurigen 2D-Puzzle-Platformer. Little Nightmares hat an einigen Stellen gut abgeschaut und ist an anderen seinen eigenen Weg gegangen. Limbo hat die kniffligeren Rätsel vorzuweisen, während Little Nightmares die um einiges unterhaltsameren Verfolgungsjagden bietet. Limbo ist in seiner Atmosphäre erdrückend trostlos und düster, wo Little Nightmares selbst in seinen schaurigen Momenten überraschend verspielt und niedlich sein kann. Little Nightmares trumpft in seinen Kulissen mit Tim-Burton-hafter Gruselmärchen-Opulenz auf, wo sich Limbo in grau-schwarzer, stilisierter Zurückhaltung übt. Little Nightmares lässt in der kleinen Geschichte die es erzählt, viele Fragen unbeantwortet und ist in seiner Erzählung dennoch um einiges konkreter als Limbo.
Zusammenfassend kann man sagen, dass, obwohl sich die beiden Spiele in vielen Dingen sehr ähneln, die Atmosphäre durch gewählten Grafikstil, Musik, Charakteranimationen und erzählter Geschichte eine komplett andere ist. Wer Limbo nicht mochte, könnte durchaus Spaß mit Little Nightmares haben und umgekehrt.
Aus der Traum
Little Nightmares ist wie nervenaufreibender Fiebertraum voller grotesker Kulissen und Gestalten: Während wir ihn erleben, versetzt er uns in Angst aber im Nachhinein erfüllt er uns noch lange mit morbider Faszination. Viel zu schnell für meinen Geschmack war der Spuk dann auch wieder vorbei; nach ca. 4 Stunden hat die kleine Six das Ende ihrer Reise erreicht. In dieser kurzen Zeit durften wir eine abwechslungsreiche, schaurige, kleine Geschichte erleben, die zu meinen absoluten bisherigen Jahreshighlights zählt.