God of War Test – Göttliche Generalsanierung
Im neuen God of War ist das antike Griechenland bereits Geschichte. Der frische Neuanfang führt Kratos in mythologisch, nordische Gefilde. Santa Monica Studios haben mit dem vierten Teil der Serie den Drahtseilakt hinbekommen, alte und angestaubte Konzepte zu überarbeiten und trotzdem die gewohnte God-of-War-Atmosphäre aufrechtzuerhalten. Wie sich God of War zum, meiner Meinung nach, besten Teil der Serie gemausert hat, erfahrt ihr im Test.
Kein Happy End
Kratos hat sich bereits durch drei verschiedene Götterwelten durchgeprügelt und nun setzt er sich verdientermaßen zur Ruhe. Der sesshafte Halbgott hat sogar eine Gemahlin Faye und Söhnchen Atreus. Gemeinsam leben die drei in einer Waldhütte und Kratos hat sich über die Jahre sogar einen Holzfällerbart stehen lassen. Doch der vom Schicksal gebeutelte Halbgott findet auch im Norden kein Happy End, denn Faye stirbt und äußert als letzten Wunsch, dass ihre Asche vom höchsten Gipfel des Landes aus verstreut wird. Das war’s! Keine Rachestory, „nur“ ein Berg, den es zu besteigen gilt. God of War erzählt gerade in den ersten Stunden eine sehr persönliche, einfühlsame Geschichte, die sich um die Vater-Sohn-Beziehung dreht. Neben der brachialen Action schafft es Santa Monica Studios neuestes Werk auch eine überraschende und mitreißende Geschichte zu erzählen, die die der Vorgänger locker übertrifft.
Alleinstehender Halbgott
Das liegt vor allem daran, dass Kratos nicht erneut plant, das gesamte, griechische Göttergeschlecht umzubringen und auszulöschen. Schon der gemäßigtere Einstieg macht klar, dass man sich bei God of War nun mehr Zeit nehmen möchte, für Geschichte, Charaktere und deren Beziehungen untereinander, allen voran das Vater-Sohn-Gespann. Kratos hatte in den Vorgängern noch keinerlei Verantwortung und sein einziges Ziel war das Überleben. Mit Atreus stellt sich das auf den Kopf, denn der Hitzkopf muss lernen, wie sich ein guter Vater verhält. Oftmals genügen auch Mimik und Gestik, um mir zu zeigen, wie sich die beiden gerade fühlen. Als Atreus dann zum ersten Mal einem Menschen das Leben nimmt, schmerzt das nicht nur ihn, sondern auch Kratos, aber vor allem auch mich. God of War schafft es dank dieser Konstellation, trotz brachialer Gewalt und Action, mich immer wieder zu berühren und zu erden. Kratos lernt auf seiner Reise, dass eben doch nicht alle Probleme mit einer Axt gelöst werden können. Das klingt zwar kitschig, ist aber vom Spiel wunderbar umgesetzt worden, weil es diese Momente überlegt in die Story einbezieht und damit auch nicht übertreibt.
Wuchtige Kämpfe
Auch deshalb besteht God of War nicht daraus, dass ihr mit Kratos und Atreus locker einen Berg hinaufspaziert. Die nordischen Götter, allen voran Odin, sind über Kratos auftauchen nicht gerade erfreut und schicken ihm fürchterliche Monster oder einen anfangs mysteriösen Fremden, um den Halbgott aufzuhalten. Also ran an die Axt! Das Kampfsystem wurde etwas entschleunigt und es ist sogar möglich und wichtig zu blocken und die Ausweichrolle zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen. Die Kamera ist nun deutlich näher an Kratos und dem Geschehen dran, wodurch das fantastische Trefferfeedback der unzähligen Feinde noch einmal hervorgehoben wird. Man spürt richtig, die verheerende Kraft von Kratos Schlägen. Da nehme ich auch sehr gerne die schmalere Umsicht in Kauf, die durch die nähere Kameraeinstellung entsteht.
Gemeinsam mit Axt und Bogen
Bereits nach kurzer Zeit gehen Gameplay und Steuerung in Leib und Seele über und es bereitet die größte Freude mit dem Duo Gegner weg zuklatschen. Da darf auch der eine oder andere saftige Finishing-Move nicht fehlen. Aber nicht nur Kratos wehrt sich mit Axt, Tritten und Fäusten, auch Atreus ist im Kampf nützlich. Der Junge übernimmt in der Schlacht mit dem Bogen den Fernkampf. Atreus verletzt seine Feinde an besonders verwundbaren Stellen oder lockt mit einem gezielten Pfeil Gegner aus der Deckung oder provoziert deren Aufmerksamkeit, wodurch Kratos einen Vorteil im Kampf bekommt.
Looten und Leveln
Durch den Axtwurf von Kratos können nicht nur Monster ins Jenseits befördert werden, sondern auch das eine oder andere Rätsel gelöst werden. Die sind angenehm und clever ins Spiel integriert und ein gut gestalteter Tempowechsel, wo ein wenig durchgeschnauft werden kann. Dabei gibt es auch immer interessante Belohnungen, denn neben Hörnern und Äpfeln, die euren Lebensbalken oder die Wutanzeige permanent erhöhen (äquivalent zu Gorgonenaugen, Phönixfedern und Minotaurenhörner früherer Teile), gibt es lohnenswerte Items in den unterschiedlichen Qualitätsstufen normal, selten oder einzigartig zu finden. Das Spiel zeigt euch sogar an, wie viel Prozent aller möglichen Artefakte ihr in einem Gebiet entdecken konntet.
Cool ist auch, dass nicht nur Kratos, sondern auch Atreus neue Gürtel, Armschienen, Schulterrüstungen und Talismane spendiert bekommt. Darüber hinaus könnt ihr den Bogen und die Axt mit Edelsteinen verbessern, den jeweiligen Griff austauschen und so ebenfalls verbessern (hier erfahrt ihr, wie ihr an Hacksilber – ebenfalls fürs Crafting benötigt – kommt). Dadurch gibt es richtig viel zu entdecken und das Spiel bleibt auch nach Stunden noch motivierend. Ein weiterer positiver Faktor ist das Levelsystem, denn für Erfahrungspunkte könnt ihr Talentbäume im Bereich Faustkampf, Axt, Schild und Fernkampf freischalten.
Brutal schön
Nicht nur die neuen Rollenspielelemente sind cool, auch die neun verschiedenen Welten können sich sehen lassen. Über den Weltenbaum Yggdrasil sind diese miteinander verbunden und stellen so eigene Hubs dar. Zwei dieser Gebiete bekomme ich in der Kampagne gar nicht zu Gesicht. Diese sind eher für den End-Content gedacht, denn Muspelheim und Niflheim stellen mich vor eine Art Horde- bzw. Zeitmodus. Neben spielerischer Abwechslung bieten die nordischen Wälder mit das grafisch schönste und anspruchsvollste Erlebnis, was ich auf meiner PS4 bisher gesehen habe. Die Welt ist voller Details, überall wirbeln kleine Blätter umher und sogar jedes einzelne Barthaar von Kratos (ich habe jedes einzelne gezählt und gesehen) sieht fantastisch aus. Egal ob Eiswüste, Blumenmeer oder Lavasee, alles sieht fantastisch aus. Auch die Animationen der Trolle, Oger und noch weit größerer Gegner, sind mehr als gelungen gestaltet. Grafisch ist das Spiel auf meiner PS4 Pro eine absolute Augenweide. An einigen Stellen bin ich sogar stehen geblieben, um inne zu halten und die Aussicht zu genießen.
Germanische Überlieferungen
Ein weiteres Highlight stellt für mich die coole Integration der nordischen Mythologie dar. Wer mit Eddaliedern und anderen nordischen Sagen etwas anfangen kann, wird mit God of War große Freude haben. Egal ob Freiyja, Hrungnir, die Midgardschlange, Njörd und viele weitere Sagenfiguren tauchen im Spiel auf. Auch wenn man Odin und Thor gar nie gegenüberstehen kann, so ist es sehr interessant mitanzusehen, wie der ansonsten so gefeierte Popstar Thor, hier in einem ganz anderen Licht dargestellt wird. Im Gegensatz zu den Marvel-Comics ist dieser Thor kein strahlender Held, denn der vermeintliche heroische Sieg gegen die Riesen, artete in einem Massaker und Blutbad aus. Sein Vater Odin geht sogar noch einen Schritt weiter, denn Odins Eroberungen der Welten können auch als Ausbreitung eines totalitären Regimes gedeutet werden. Das verleiht God of War neben dem Vater-Sohn Storystrang ein weiteres Element, das die Geschichte noch einmal interessanter gestaltet.
God of War Fazit
Vielen Spiele- und Filmfortsetzungen wird vorgeworfen, dass sie immer wieder versuchen ihre Vorgänger actiontechnisch noch weiter zu übertreffen und dabei scheitern. Bis vor Teil 7 ging es Resident Evil so und auch Call of Duty weiß nicht mehr wirklich, wie es Levels im All und unzählige Atombombenexplosionen noch toppen soll. Und dann kommt God of War und macht genau das Richtige! Anstatt die Rachestory mit immer noch größeren Monstern und Ungeheuern uns weiter entgegenzuwerfen, erzählt Entwickler Santa Monica Studios eine geerdetere Geschichte, die es sogar geschafft hat mich zu berühren und zum Nachdenken zu bringen. Wie aus dem Review hoffentlich hervorgeht, soll dies aber nicht heißen, dass God of War keine Action mehr hat und auf riesige Kreaturen verzichten würde.
Allein die Szenen mit den Drachen oder der Midgardschlange sind absolut beeindruckend. Santa Monica Studios haben es geschafft der Franchise ein neues, vielschichtigeres Gewand überzustülpen, ohne dabei seine Wurzeln zu vergessen. Hinzu kommt ein Kampfsystem, das durchgehend Spaß macht und mir immer wieder neue Ansätze bietet und die wunderschön gestalteten Welten. God of War ist nicht mehr God of War – es hat sich weiterentwickelt und sitzt nicht mehr nur am Spieleolymp, sondern thront nun auch mit anderen, einzigartigen Spieleklassikern im Spiele-Walhalla.
Wenn ihr noch eine Zweitmeinung zum Spiel wollt, schaut bei den Helden der Freizeit vorbei.