The Irishman Filmkritik – „It is, what it is“
Subtile Sprache, viel Text zwischen den Zeilen und kleine Gesten mit oft endgültigen Konsequenzen – so in etwa lässt sich The Irishman, der neue Film von Martin Scorsese, zusammenfassen. Was hier in mehr als drei Stunden zu sehen ist, ist nicht weniger als eine Hommage an all jene Filme, mit denen es Hollywood schaffte, ein ambivalentes Gefühl gegenüber der italienischen Mafia zu generieren. Natürlich bringen diese Herren Menschen um, auf brutale Art und (fast) ohne Rücksicht auf eventuelle freundschaftliche Verhältnisse. Die Art und Weise aber, wie das in diesen Filmen durchgespielt wird, offenbart viel darüber, wie begeistert das Publikum an diesen Leben teilhat. Es kommt sogar zu einem Gefühl von Mitleid gegenüber diesen Tätern und ihren Komplizinnen.
The Irishman mit Traumbesetzung
Robert De Niro, Joe Pesci, Al Pacino und Harvey Keitel sind bei weitem nicht alle bekannten Namen, die in diesem grandiosen Werk ihren Auftritt haben. The Irishman ist bis in die kleinste Nebenrolle fantastisch besetzt. Nur jemandem wie Martin Scorsese ist es glaube ich möglich, so einen Cast aufzustellen. Der Klang dieser Namen führt einen zudem zurück in Zeiten, zu denen solche Filme noch möglich waren. Sofort denkt man an Good Fellas, Casino oder auch den Paten. Ruhige und lange Einstellungen mit teils wenig Text, die das mimische und gestische Spiel der AkteurInnen voll zur Geltung kommen lassen. Detaillierte Sets, bei denen die Tapeten der Häuser ebenso passen wie die Möbelstücke oder die verchromten Felgen der Autos.
Die Geschichte eines alten Mannes
The Irishman beginnt mit einer ruhigen Kamerafahrt, die uns zu Frank Sheeran (Robert De Niro) ins Altenheim führt. Ab hier wird die Geschichte in Rückblenden erzählt. Ein Stilmittel, das Scorsese gern verwendet und das zusätzlich durch ein Voice-Over Sheerans verstärkt wird. Eine zufällige Begegnung verändert das Leben des Mannes mit irischen Wurzeln grundlegend. Der nette ältere Mann, der ihm hilft, seinen Truck an der Tankstelle wieder flott zu bekommen, ist kein geringerer als Russell Bufalino (Joe Pesci), einer der Paten aus der amerikanischen Cosa Nostra. Mit zunächst kleineren Aufträgen arbeitet sich der Ire Scheeran in der italienischen Mafia nach oben. Seine Kenntnisse der italienischen Sprache und im Umgang mit Handfeuerwaffen aller Art, im zweiten Weltkrieg war er auf Sizilien stationiert, sind dabei von Vorteil.
Wahre Begebenheiten
Auch wenn die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, schimmert an manchen Stellen doch das Übertriebene durch. Bei einem Roman, der auf Interviews mit einem der Protagonisten entstanden ist, drängt es fast unausweichlich an die Oberfläche. Viele der gezeigten Ereignisse dürften sich vermutlich tatsächlich so abgespielt haben, wie es in The Irishman beschrieben wird. Dass an jeder einzelnen Frank Sheeran beteiligt gewesen sein soll, erscheint aber doch zu überzogen. Einblendungen über die Art und Weise, wie viele der Figuren umkommen, verstärken zwar den historischen Charakter, vor allem der auch in Medien oft strapazierte Konnex zwischen den Kennedys und der Mafia scheint mir so aber zu vereinfacht dargestellt.
Mimik und Gestik
The Irishman ist aber weniger ein Film, bei dem es um historische Fakten über diese Schattenwelt aus Codes und ungeschriebenen Gesetzen geht. Vielmehr stehen diese Codes und Gesetze selbst im Mittelpunkt. Scorsese und sein grandioser Cast zeigen, was im Medium Film abseits von Special Effects und CGI alles möglich ist. Dass einige der Darsteller digital verjüngt wurden, ist dabei ein amüsanter Nebeneffekt. Harvey Keitel hat in der Rolle des Paten Angelo Bruno eigentlich keinen Text und sitzt hauptsächlich an Tischen in Restaurants. Aber es genügt. Er muss nicht mehr machen, um auszudrücken, welche Rolle er innerhalb dieser Gesellschaft einnimmt. Daneben sind es vor allem auch die Accessoires, die immer wieder einen großen Auftritt bekommen. Goldene Uhren, große Siegelringe. Die Mafia hat die Insignien der Macht von den europäischen Herrschaftshäusern übernommen. Nicht umsonst sind die Taufen von Kindern der Mitglieder ein Schaulaufen des Who-is-Who der Paten.
Es ist, was es ist
In The Irishman geht es um die Dinge, die nicht ausgesprochen werden. Niemand muss mit seinem Namen prahlen, um sich Gehör zu verschaffen. Nachdem Sheeran den von Al Pacino meisterhaft gespielten, mächtigen Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa zum dritten Mal gesagt hat „Es ist, was es ist.“ fällt bei diesem der Vorhang und sein Gesicht wird für einen kurzen Moment kreidebleich. Er verliert für eine Sekunde all seinen Mut, seinen Kampfgeist, denn es ist, was es ist. Es sind diese Momente, die diesen Film so grandios machen und es ist furchtbar schade, dass Netflix ihn nur kurz im Kino laufen lässt. Die vielen Details, das Spiel der Gesichter, die Filmsets, all das verdient die große Leinwand und sollte so lange wie möglich auf ihr gezeigt werden.