Dying Light 2 Test – Hinauf und wieder hinunter
Dying Light 2 ist nicht frei von Problemen, besticht aber mit sehr gutem Kerngameplay bzw. Parkourbewegungssystem.
Dying Light 2 ist eine Achterbahnfahrt mit luftigen Höhen und schwachen Tiefen. Die Bewegung in der Open World macht so viel Spaß und ist so gut gelungen. Die Story verzettelt sich leider ab der Mitte, und auch die Open World-Aufgaben sind nicht immer das Gelbe vom Ei. Je nachdem, welchen Fokus man auf das Game legt und wie man es spielt, kann dies den Spaßfaktor und das Erlebnis erheblich beeinflussen. Aber fangen wir ganz von vorne an.
Die Menschheit am Ende
Der neue Protagonist Aiden Caldwell hat viel gesehen, denn 20 Jahre nach dem ersten Teil schlägt er sich als sogenannter Pilger durchs Leben. Das sind Leute die wichtige Ressourcen von Ort zu Ort bringen und so das bisschen übrig gebliebene Menschheit versuchen am Leben zu erhalten. Es gibt quasi kaum Strom mehr, keine Zivilisation und alles erinnert ein bisschen an das dunkle Mittelalter. Wir befinden uns in der Post-Postapokalypse, dazu später mehr. In diesem nicht gerade einladenden Setting möchte Aiden eigentlich nur seine Schwester finden. Er bekommt am Spielbeginn einen Hinweis, in der Stadt Villedor nach ihr zu suchen. Viele Spiele haben so eine übergeordnete Quest, man denke nur an Fallout 4, wo ein Vater sein Neugeborenes sucht, stattdessen aber 200 Stunden mit launigen Nebenquests verbringt ohne auch nur einen Gedanken an seinen Sprößling zu verlieren. Dying Light 2 löst das leider ähnlich, denn Aiden ist auf der Suche nach seiner Schwester Mia. Immerhin spielt Villedor nach ganz eigenen Regeln und zwingt Aiden oft ihren Willen auf.
Zuerst hinein gesaugt, dann ausgespuckt
Er benötigt z.B. einen Biomarker, ein Armband, das den Grad der Infektion immerzu anzeigt oder muss zum Stadtkern gelangen. Aiden bekommt aber nichts geschenkt und um von A nach B zu kommen, macht er einen Deal mit den Peacekeeper. Der Name täuscht vielleicht, denn die Peacekeeper sind brutale Schläger, die nach ihren eigenen Gesetzen für Recht und Ordnung sorgen. Die helfen einem, wenn man für sie einen Mord aufklärt. Das bringt uns zu einer anderen Gruppierung den Survivors. Die hätten gerne, dass wir ein Mitglied von ihnen suchen und die ganze Quest verstrickt sich immer mehr und mehr. Das ist auch gut so und in den ersten Stunden macht das Spiel einen super Job. Aiden kann gar nicht anders und wird nachvollziehbar und homogen immer mehr in die Fänge von Villedor und ihren Charakteren getrieben. Später verkommt die Hauptstory leider dazu Mia als alles rechtfertigenden Macguffin einzusetzen. Die Story verzettelt sich dann leider in zu viel „Laufe von A nach B“ und Fraktionskämpfen. Gerade das Ende war für mich sehr wirr und auch zu schnell abgespult.
Alles verlagert sich nach oben
Szenenwechsel: Aiden – also ich – stehe auf einem hohen Turm, genauer gesagt eines Windrades, das über den Dächern der Stadt ragt. Per Egoperspektive überblicke ich die beinahe die gesamte Stadt und mit meinem Fernglas markiere ich interessante Ort, die mir dadurch auf meiner Map gleich eingezeichnet werden. Viel interessanter ist aber das allgemeine Aussehen und die Atmosphäre dieses Ortes. Durch die Zombies am Boden hat sich das Leben vieler Menschen auf die Dächer der Stadt verlagert. Die Menschen haben sich darauf eingestellt und nutzen alle Ecken und Stellen von Villedor, wo Zombies schwer oder gar nicht hingelangen, um so ihr Überleben zu sichern.
Überall gibt es hastig installierte Holzbrücken, behelfsmäßige Aufzüge, aber auch angelegte Gärten, die die Dächer der mitgenommenen Metropole schmücken. Im Gegensatz dazu sind die Straßen, wo die Zombies herrschen verwahrlost und verkommen. Deshalb ist die Vertikalität der Stadt für das Spiel enorm wichtig und durch die gegebenen Umstände auch organisch in der Geschichte der Welt erklärt. Im Prinzip ist Villedor ein großer Parkour-Spielplatz und das ist großartig und die größte Stärke. Mit den Türmen gibt es sogar richtig schöne Parkour-Rätselpassagen.
Parkour ist Trumpf
Die Basis ist natürlich das Springen und Klettern und beides verbraucht Ausdauer. Im Gegensatz zu einem Assassin’s Creed hält man hier nicht nur den Stick in eine Richtung, sondern muss gut mit der Ausdauer haushalten. Die Animationen bei allen Bewegungen sind sehr wuchtig und haben ein spürbares Momentum. Flieht man panisch vor einer Zombiehorde und springt von einem Bus auf eine Häuserkante und per Rampe auf das nächste Vordach, entsteht ein richtig cooler Flow. Besonders lobenswert ist das Progressionssystem, denn zu Beginn habe ich bei Weitem noch nicht alle Parkour-Fähigkeiten freigeschaltet. Was zu Beginn des Spiels noch ein Hindernis war, ist später durch den gelernten Wall-Run ein neues Parkourelement. Durch weitere Fähigkeiten und sogar einem Gleiter entstehen durch den Aufbau der Stadt coole Synergien, die die Bewegung in der Spielwelt total unterhaltsam machen. Das beste Kompliment ist wahrscheinlich Folgendes:
Im realen Leben habe ich Höhenangst, in Videospielen natürlich nicht. Dying Light 2 hat es mit seiner Egoperspektive, der Wucht und der physischen Präsenz geschafft, zumindest geschafft mir auf hohen Türmen ein respektvolles, ja sogar leicht mulmiges Gefühl zu verursachen. Das hatte ich tatsächlich noch nie zuvor!
Mit der Schaufel durch die Stadt
Aber das dynamische Moveset wird natürlich auch in die Kämpfe mit übernommen. Durch die lang anhaltende Postapokalypse gibt es kaum noch Munition, weshalb selbst gemachte Nahkampfwaffen, wie Äxte, Macheten, Schaufeln, Hämmer und ähnliches das Gameplay dominieren. Selbst gemacht deswegen, weil die Waffen auch modbar sind und es schon ziemlich cool ist, wenn so ein Zombiehaufen in Flammen aufgeht. Doch Vorsicht, die Waffen nutzen sich ab und sind irgendwann kaputt. Das erhöht den Survivalgradmesser, ist aber spätestens seit Breath of the Wild umstritten. Für mich passt es gut ins Setting und Waffen sind absolut keine Mangelware. Leider ist die Lootspirale aber ingesamt nicht so gut gelungen. Es gibt zwar viele Ausrüstungsgegenstände und per Blueprints auch viel zu tun, aber ob Aiden nun ein oder zwei Prozent mehr Schaden macht ist zu wenig spürbar.
Interessante Progression
In den Kämpfen nutzt ihr die Ausdauerleiste und könnt so nicht ewig Blocken. Darum empfiehlt es sich auch einen perfekten Block auszuführen, denn damit stunned ihr eure menschlichen Kontrahenten. Ihr könnt dann in den Angriff übergehn oder per akrobatischem Bocksprung und Kick gleich den nächsten Feind attackieren. Dabei profitiert das Game wieder von seinen sehr guten Bewegungsanimationen. Durch Quests aber auch das reine Durchführen von Kämpfen oder akrobatischen Manövern bekommt ihr entweder Kampf- oder Bewegungserfahrung, die euch richtig coole, neue Fähigkeiten freischalten lassen. Ich empfehle hier Fähigkeiten, wie den Wall-Run so früh wie möglich freizuschalten, da sie euer Bewegungsrepertoir enorm erhöhen und dadurch das Parkoursystem noch spaßiger wird.
Es rollen Köpfe
Abschließend sollte ich auf jeden Fall noch erwähnen, dass das Kampfsystem ziemlich brutal ist. Zumindest in meiner österreichischen, ungeschnittenen Fassung werden aus nächster Nähe mit Äxten Gliedmaßen und Köpfe abgetrennt und mit Hämmer Schädel gespalten. Vielleicht lässt das zu tief in meine Psyche einblicken, aber mir hat das wirklich gut gefallen. In diesem Setting unterstreicht es noch mal die körperliche Präsenz, wenn mit wuchtigen Angriffen Leute von Häusern gekickt werden oder lose Arme durch die Luft fliegen – der Gore-Faktor ist hoch. Nicht nur beim Klettern, auch beim Kämpfen sind die Animationen äußerst gut gelungen.
Wie Tag und Nacht
Aber was bietet denn eigentlich die Open-World noch neben ihrer Vertikalität? Vergesst die im Vorfeld unglücklich angekündigten 500 Stunden, die ihr mit Dying Light 2 in der Theorie verbringen könnt. Mit ungefähr 30 Stunden Spielzeit werdet ihr ein viel besseres Erlebnis bekommen. Wie im Vorgänger kommt es erstmal darauf an, ob gerade Tag oder Nacht ist. Die Zombies meiden Sonnenlicht und ziehen sich in offene Häuser zurück, nur vereinzelt stolpern sie durch die Straßen. In einigen Gebäuden gibt es sehr guten Loot, aber die sind Tagsüber vollgestopft mit Monstern. Also wechseln wir in die Nacht, denn dann dreht das Spiel richtig auf. Aiden ist infiziert und beginnt, wenn er nicht in der Nähe von UV-Licht steht, sich langsam in ein Zombie zu verwandeln. D.h. ihr habt durch einen Timer ca. fünf Minuten Zeit euch in der Dunkelheit zu bewegen.
Wilde Verfolgungsjagden
Hinzu kommt noch, dass es Heuler gibt, die wenn sie euch entdecken Alarm schlagen und dann beginnt die Jagd nach euch. Dann wird es hektisch, denn nicht nur wird die Musik intensiver, ihr werdet von rennenden, schreienden Zombies verfolgt. Und zwar von richtig vielen! Es wimmelt dann am Bildschirm nur so vor lauter Untoten. Euer einziges Ziel ist es zum nächsten Unterschlupf zu kommen, bevor ihr entweder tot gebissen oder nach Ablauf des Timers selbst in ein Zombie verwandelt. Was ein wenig stressig klingt, ist es zwar auch, hat mir aber durch das gute Parkoursystem grandiose Verfolgungsjagden geliefert. Das hohe Risiko wird durch besseren und mehr Loot belohnt, was ein simpler aber sehr guter Kniff ist.
Wer darf’s sein?
Egal zu welcher Tageszeit, in der Open-World gibt es gibt einige Aktivitäten. Ihr könnt besagte Windräder erklimmen und so der Stadt ein bisschen Strom zurück schenken. Das Gimmick dabei ist, ihr könnt euch später aussuchen welcher Fraktion ihr bestimmte Territorien überlässt. Je nachdem ob Peacekeeper oder Survivor, bekommt ihr so andere Händler, aber auch die Stadt verändert sich. Die Peacekeeper stellen Fallen gegen die Zombies auf, die Survivor errichten neue Brücken, behelfsmäßige Lifte oder andere Fortbewegungsmöglichkeiten. Dabei gibt es zwei Probleme. Das Erste ist, es macht wenig Sinn den Peacekeepern das Areal zu überlassen. Eine Autobombe tötet zwar viele Monster, lockt aber auch neue an. Die neuen Fortbewegungsmöglichkeiten sind beinahe immer besser und cooler. Die zweite Sache ist, dass Techland uns eine sich wandelnde Stadt versprochen hat. Ja Villedor wandelt sich, aber nur im kleinen Maße. Auf den wieder bewohnbaren Häusern findet ihr dann Gärten, aber viel mehr gibt es dann nicht. Bei den ersten Malen freut man sich noch richtig das Gebiet wieder mit Leben gefüllt zu haben, jedoch geht der Zauber spätestens ab der Mitte des Games verloren.
Skurrile Begebenheiten
Alles in allem ist das schon eine gute Spielerfahrung, aber es gibt weitere Kritikpunkte. Einerseits sind das die Charaktere, die einem in Nebenmissionen über den Weg laufen. Das Setting ist ernst, es geht ums Überleben und dann trifft man auf merkwürdige Typen, wie schlechte Erfinder, die bei der Herstellung eines Elektrozauns unabsichtlich eine tödliche Waffe herstellen.
Ein anderes Mal treffe ich auf eine Frau, die Schwanger ist und ihren werdenden Vater vermisst. Der ist von ihrem Bruder in eine Falle gelockt worden und ist nun eingesperrt. Als ich den eigentlich aggressiven Vater dann rette, verzeiht der seinem Schwager aber sofort. Er könne ja wohl nicht den Onkel seines ungeborenen Kindes töten.
Ihr seht schon, das ist jetzt nicht die ganz hohe Erzählkunst. Manchmal habe ich auch das Gefühl die Storywriter möchten eine gewisse Fallout Skurrilität erzeugen, scheitern aber manchmal daran. Es gab aber auch positive Beispiele, wie z.B. die Opernsängerin, der ich ihren Schal zurück gebracht haben, die sich dann mit einem sehr schrägen Lied bedankte.
Im Ton vergriffen
Außerdem schafft es Dying Light 2 durchaus immer wieder mich vor interessante, moralische Entscheidungen zu stellen und spannende Charaktere zu zeichnen. Es vergreift sich dann aber an anderer Stelle wieder im Ton, was einen merkwürdigen Eindruck hinterlässt. Was der Inszenierung auch nicht gerade weiterhilft sind die Charakterdesigns, die doch eher grob und leider zum Teil auch uncanny ausfallen. Das hat nichts mit einer richtigen Next-Gen-Fassung zu tun. Zumindest macht die englische Synchro einen guten Job.
Ein bisschen muss ich aber noch bei der Grafik verweilen. Die Atmosphäre der Stadt und gerade in Bewegung wirkt und sieht alles gut aus. Nimmt man sich dann aber mal einen Moment Zeit und blickt gar noch durch das Fernglas, dann merkt man schon, dass der grafische Look ein wenig angestaubt ist.
Gemeinsam durch die Zombie-Apokalypse
Den Koop-Modus mit bis zu vier SpielerInnen konnte ich leider nicht testen. Er ist an sich eine coole Sache, aber enthält ein paar Einschränkungen. Die Levels und Loot werden behalten, aber nur der Host behält den Story-Fortschritt. Die Entscheidungen können gemeinsam getroffen werden, allerdings hat auch hier der Host ein Veto, da ja er oder sie mit dieser Entscheidung leben muss. Meiner Meinung nach ist das größte Problem die momentan fehlende Crossplay Fähigkeit des Spiels. Es ist nicht einmal möglich zwischen z.B. PS4 und PS5 eine Session zu spielen. Daran wird bei Techland aber gearbeitet und möglicherweise gibt es in Zukunft einen Patch dafür. An sich halte ich den Koop-Modus für eine sehr schöne Idee. Übrigens, hier findet ihr die Systemanforderungen für PC.
Dying Light 2 Fazit
Dying Light 2 hat mir viel Spaß und gleichzeitig auch Frust gemacht. Die Stadt und ihre Bewegungsmöglichkeiten sind genial und tragen das gesamte Spiel. Schade ist, dass die Story dann abbaut und sich in wirren Fraktionskämpfen verläuft. Auch die teilweise wirren Begegnungen mit Charakteren dämpfen meine Stimmung. Dabei schaffen es die Entwickler:Innen immer wieder sehr gut mich vor knifflige Entscheidungen zu stellen.
Trotz der verpassten Chance auf weit höhere Wertungsskalen klettere ich immer noch gerne durch Villedor und habe Spaß am Spielen. Auch wenn mich das Ende etwas unbefriedigt zurückgelassen hat.