Everything sucks forever – Night in the Woods im Test
Erwachsen werden ist doof. Geld verdienen zu müssen ist blöd. Rechnungen und Steuern bezahlen sowieso. Dass sich Dinge ändern und nicht immer so bleiben können, wie sie mal waren, finde ich auch zum Kotzen. Und als wäre ich mit meiner selbstzentrierten Nostalgie und Weltschmerz noch nicht zur Genüge beschäftigt, verschwinden Leute im beschaulichen Possum Springs und seltsame Lichter tanzen nachts im Wald. Na, wenn dem niemand nachgeht, muss ich das wohl tun…
Doch halt, soweit sind wir eigentlich noch gar nicht. Also schön der Reihe nach:
I just wanna die anywhere else
In Night in the Woods schlüpfen wir in die Rolle der 20-jährigen Collegeabbrecherin Mae, die in ihre kleine Heimatstadt, Possum Springs, zurückkehrt und auf unbestimmte Zeit wieder bei den Eltern einzieht. Die ehemalige Bergbaustadt bietet nach Schließung der Mine kaum Jobs, die meisten jungen Erwachsenen wandern ab, die Übriggebliebenen finden kaum Jobs, die ihre Rechnungen bezahlen können. Einkaufszentren stehen leer, Einzelhandelsläden werden durch Filialen von Großkonzernen ersetzt, es gibt kaum Zukunftperspektiven, nur den stets gleichen Alltagstrott.
Von der ersten Szene an, in der die Katze Mae nachts alleine an der Bushaltestelle ankommt und durch den dunklen Wald nach Hause geht, begleitet uns der melancholische Unterton, der das Spiel auszeichnet. Neben dem Verfall einer Kleinstadt werden auf glaubwürdige Art viele weitere ernste Themen angesprochen: Geldsorgen, unerfüllte Lebensträume, der Verlust geliebter Menschen, Sucht, Depression oder auch die Existenz und das Wesen Gottes.
Weird Autumn
Den Großteil des Spiels verbringen wir damit, mit Mae in einer 2-D-Sidescroller-Perspektive durch die Stadt zu stromern, die immer gleichen Orte abzuklappern, mit alten Bekannten und Freunden zu plaudern, Blödsinn zu treiben und neue Dinge zu entdecken. Da freunden wir uns mit einem Obdachlosen im Wald an, hören uns die kleinen Gedichte einer Nachbarin an, schauen bei unseren Freunden während der Arbeit vorbei und klettern auf den Dächern der Stadt herum. Wer die Stadt ausgiebig erkundet, lernt die Bewohner mit ihren Eigenheiten, Wünschen und Sorgen jeden Tag ein Stückchen besser kennen und lieben. So kann man sich in den ersten Spielstunden herrlich in dem vielschichtig gezeichnetem Bild der verfallenden Kleinstadt Possum Springs verlieren.
Night in the Woods nimmt sich zu Beginn viel Zeit, den ernüchternden Alltag in Possum Springs und die Wesenszüge der Hauptcharaktere zu etablieren, ehe die eigentliche Geschichte Fahrt aufnimmt: Denn im Wald um Possum Springs lauert etwas Bedrohliches, das von Mae und ihren Freunden erforscht werden will. Das Ende kommt dann, vor allem im Vergleich mit dem gemächlichen Anfang, etwas schnell. Dennoch werden die wichtigsten Fragen um das Mysterium in den Wäldern von Possum Springs sowie von Maes seltsamen Verhalten erklärt, womit mich der Schluss des Spiels vollends zufrieden gestellt hat.
Während 90 Prozent von Night in the Woods mit herrlich geschriebenen, aber leider unvertonten Dialogen besetzt ist, bilden diverse Minispiele die restlichen 10 Prozent. Da klauen wir eine Brezel unter der Nase des Verkäufers, liefern uns mit unserem besten Kumpel Gregg einen Messerkampf im Wald, übernehmen in einer Art Guitar Hero Modus den Basspart in einer Bandprobe oder shaken mit unserer Freundin Bea auf einer Party ab. Weil wir unseren Abend nur mit einer Person verbringen können, benötigt es mehrere Spieldurchgänge, um alle Szenen mit Maes Freunden zu erleben.
Mae zeichnet sich dabei von Beginn an als eine der unsympathischsten Protagonisten aus, die ich jemals gesteuert habe (Rufus von Deponia gebührt weiterhin die Krone). Eher benimmt sie sich wie eine unvernünftige, trotzige, selbstzentrierte 12-Jährige, als eine junge Erwachsene. Zielgesteuert tritt sie in Fettnäpfchen, bohrt mit unsensibel in offenen Wunden und lässt ihre destruktive Energie an ihrer Umwelt aus. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass Mae stets die schlechtest mögliche Entscheidung treffen wird. Dass man ihr gegen Ende ihr Verhalten doch beinahe verzeiht, ist dem gelungenen vielschichtig geschriebenen Charakter sowie einigen Enthüllungen zu verdanken.
Pumpkin Head Guy
Ein paar besondere Stärken und Schwächen von Night in the Woods möchte ich noch hervorheben, ehe ich zum Ende komme: Bereits im Hauptmenü des Spiels fallen einem die wunderschöne visuelle und klangliche Gestaltung des Spiels ins Auge, bzw. ins Ohr. Die im Spiel angesprochene Themenvielfalt habe ich bereits weiter oben gelobt, doch auch die Dialoge sind in ihrem Witz, ihrer Schlagfertigkeit oder in ihrer betretenen Peinlichkeit herrlich zu lesen. Das ungekünstelte Geplänkel zwischen Mae und ihrem besten Kindheitsfreund Gregg war stets ein Highlight.
Wenn es etwas an Night in the Woods zu bemängeln gibt, dann die ungenaue Steuerung. Mae hüpft etwas träge vor sich hin und fällt bei manchen Plattforming-Passagen von Seilen, auf denen sie eigentlich bleiben sollte. Gerade die wiederkehrenden Traumsequenzen sind mir hier als zäh in Erinnerung geblieben. Da der Fokus des Spiels jedoch an völlig anderer Stelle liegt, ist das leicht zu verkraften.
Come home!
Ich bin nicht perfekt. Du bist nicht perfekt. Night in the Woods ist nicht perfekt. Vielen wird die erste Spielhälfte zu gemächlich sein. Der aktive spielerische Teil von Night in the Woods ist gering und ein Großteil davon steuert sich etwas plump. Doch dafür wird eine fantastische visuelle sowie klangliche Gestaltung und eine vielschichtige Handlung geboten, die bedeutende Fragen aufwirft und wenige einfache, glückliche Antworten liefert.
Ja, Night in the Woods ist bei weitem nicht perfekt. Aber macht es nicht genau das so fehlbar, menschlich und liebenswert?