FEZ (PS3) im Test

von Ben Vollmann 15.05.2014

Die Freude, die man verspürt, wenn man es als Kind zum ersten Mal schafft, mehr als fünf Meter ohne Stützräder mit dem Fahrrad zu fahren; die Begeisterung, mit der man seinen Eltern stolz die ersten sicheren Schwimmzüge präsentiert; das Aha-Erlebnis, das mit den ersten gelungenen Multiplikationen und Divisionen einhergeht. Je älter und abgeklärter wir werden, desto mehr neigen wir dazu, zu vergessen, wie sich die Momente anfühlen, in denen wir uns dank Wissbegier und Anstrengung ganz neue Welten erschließen. In gewisser Weise ist FEZ ein Spiel über genau dieses Gefühl, diesen Entdeckergeist. Mindestens genauso sehr ist FEZ aber auch ein Spiel über Perspektiven, unseren Blick auf die Welt und über die große Frage danach, woher wir eigentlich kommen.

Ceci n’est pas une Jump ’n’ Run René Magritte

Oberflächlich betrachtet ist FEZ ein 2D-Plattformer im Pixelgewand. Aber FEZ ist kein oberflächliches Spiel. Die Geschichte rund um den kleinen, rechteckschädeligen Gomez beginnt, als sich eines Tages das Schicksal in Form eines Briefes zu Wort meldet, der ihn auffordert, sich zur Aussichtsplattform seines idyllischen Heimatdorfes zu begeben. Auf dem Weg dorthin begegnet er nicht nur den verschiedenen BewohnerInnen des Dorfes, er wird auch mit den Grundzügen der Steuerung bekannt gemacht. Genauso retro wie der 8-Bit-Look des Games mutet zunächst ebenso das an, was das Game von den SpielerInnen verlangt. Ein wenig Laufen, ein bisschen Hüpfen und Klettern und dabei den Chiptune-Soundtrack genießen – wenn das Leben doch nur immer so einfach wäre. Auf dem Dach des Dorfes angekommen, überschlagen sich dann die Ereignisse, und dahin ist es mit Gomez’ Normalo-Dasein. Der Briefschreiber entpuppt sich als der einäugige Opi Geezer, der Gomez bedeutungsschwanger darauf hinweist, dass heute ein ganz besonderer Tag sei. Dann taucht plötzlich ein riesiger, leuchtender Würfel am Himmel auf. Ein lautes Fiepen und einen grellen Lichtblitz später findet sich der verwirrte Gomez in einer mysteriösen Höhle wieder. Dort wird er schon von dem mittlerweile soliden goldenen Würfel erwartet, der sofort anfängt, in einer kryptischen Sprache auf ihn einzureden. Was folgt, ist eine Art Initiationsritus, an dessen Ende Gomez einen roten Pixelhut mit Quaste und damit die Fähigkeit, die Welt in 90°-Schritten nach links und rechts zu drehen, erhält. Aber irgendetwas läuft schief, denn als der frischgebackene Fez-Träger seine Gabe ausprobiert, zerspringt der Würfel auf einmal mit einem Knall in tausend Stücke.

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Boy with a Magical Fez Johannes Vermeer

Nachdem Gomez wie nach einem bösen Traum in seinem Zimmer aufwacht, muss er feststellen, dass ihm der Hut und damit auch die Fähigkeit, die Welt zu rotieren, geblieben ist. Also begibt er sich schnurstracks nach draußen, um nach dem Rechten zu sehen. Die Welt steht zwar noch, aber Dot, ein kleiner, schwebender Lichtwürfel, wartet schon auf Gomez und macht ihm klar, wie ernst die Lage eigentlich ist. Da der goldene Kubus, den Dot das Hexahedron nennt, zersprungen ist, hat das gesamte Universum begonnen, sich aufzulösen. Abhilfe kann einzig Gomez schaffen, indem er die über die ganze Welt verstreuten Teile des Hexahedrons findet und wieder zusammensetzt. Also machen sich der unfreiwillige Held und sein Helferlein auf, um das Universum zu retten.

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The Persistence of Curiosity Salvador Dalí

Neben präzisem Gehüpfe muss Gomez beim Einsammeln der Würfelteile vor allem seine Fähigkeit zur Manipulation der Perspektive einsetzen. Dreht ihr die Welt per Schultertaste in ihren Angeln, verschieben sich Plattformen, Durchgänge tun sich auf und Wege entstehen. So bereist ihr nach und nach eine Spielwelt, die vor Pixelcharme und Retroflair trieft. Ob in der schwarz und grün gehaltenen Kanalisation, die an einen Computermonitor aus den 1980ern erinnert, in der Friedhofswelt mit ihrem Pixelregen oder in der tristen, unbewohnten Stadt, deren Neonschilder an Tokyo denken lassen – jedes Gebiet hat seinen ganz eigenen Charakter. Auch die Rätsel und Geschicklichkeitseinlagen variieren von Raum zu Raum und von Welt zu Welt. Schalter, Bomben, Schatztruhen und Cubeteile, nahezu jedes Objekt, das ihr seht, stellt euch vor eine neue Herausforderung, und dabei ist das Plattformen – obwohl es ein Bestandteil des Gamplay ist – weit nicht so wichtig, wie das Genreetikett Jump and Run suggeriert. Es geht weniger darum, Geschicklichkeit und Reflexe unter Beweis zu stellen, als darum, aufmerksam und neugierig zu sein. Deshalb versucht FEZ, euch an allen Enden und Ecken dazu zu ermutigen, eurem Entdeckergeist und eurer Experimentierfreude freien Lauf zu lassen.

Unzählige Türen, die in alle Richtungen führen, und die verwinkelten, weitverzweigten Gebiete, die ihr ganz nach Lust und Laune in eurem eigenen Tempo erkunden könnt, sorgen für eine nonlineare Spielerfahrung. Es lohnt sich aber trotzdem durchaus, Gebiete mehrmals zu besuchen; Gomez lernt zwar keine neuen Moves, ihr selbst aber sehr wohl. Als natürliche Hürden für euren Fortschritt dienen massive Tore, die sich erst ab einer bestimmten Anzahl von gesammelten Würfeln öffnen lassen.

In puncto Exploration erinnert FEZ vor allem an die Designparadigmen von Old-School Open-World Games à la Zelda: A Link to the Past: kein endlos Tutorial, kein Händchenhalten und kein „Go press the flashing red button!“ Anders als die momentan sehr beliebten Roguelikes vermischt FEZ aber dieses vom Gamedesign der 1980er- und 1990er-Jahre inspirierte Vertrauen in die Intelligenz und Neugier seiner SpielerInnen nicht mit dem damals üblichen, extrem harten Schwierigkeitsgrad. So hat das Sterben in FEZ – im Gegensatz zu Don’t Starve, Spelunky und Co., wo ihr jedes Mal alles, was ihr geleistet und gesammelt habt, verliert – nur minimale Konsequenzen. Stürzt Gomez einmal ab, erscheint er Sekundenbruchteile später schon wieder quietschlebendig dort, wo er zum letzten Mal festen Boden unter den Füßen hatte.

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The Game of Earthly Delights Hieronymus Bosch

Eigentlich gibt es nur ein Spiel aus der jüngeren Vergangenheit, das den Tod zugunsten des Spielflusses abgeschafft hat, ohne dadurch seicht und spielerverachtend zu werden: Braid. Genau wie Jonathan Blows Jump and Puzzler schafft es auch FEZ, die SpielerInnen auf eine Art und Weise zu involvieren, die den „billigen“ Thrill von Trial-and-Error-Passagen unnötig macht. Beide Games fordern von den SpielerInnen eine Kombinationsgabe, die weit über das bloße Reproduzieren von in Tutorials vorgekauten Verhaltensweisen hinausgeht. Was sich in Braid mitunter anfühlt, als müsste man seine Matura in einem Fach bestehen, in dem man nie unterrichtet wurde, ist in FEZ das Gefühl, als ArchäologIn in einer fremden Welt voller Spuren und Andeutungen Geschichte zu rekonstruieren. Paradoxerweise führt dieses hirnschmalzlastige Gameplay wider Erwarten auch zu großer emotionaler Resonanz, denn die Aha-Momente, die man in beiden Spielen erlebt, sind unbeschreiblich befriedigend. In FEZ erlebt ihr mehrfach Momente, die eure bisherige Perspektive auf Gomez’ Welt komplett infrage stellen.

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The Adoration of the Mystic Fish Jan van Eyck

Dass die Welt von FEZ dreidimensional ist und je nach Perspektive nur auf zwei Dimensionen reduziert wird, kann man kaum glauben, vor allem dann, wenn man die daraus entstandenen, wunderschönen, pixel-perfekt gezeichneten 2D-Level vor Augen hat. Da verwundert es auch nicht, wenn die meisten BewohnerInnen von Gomez’ heimatlichem Dorf nicht an die Existenz einer ominösen dritten Dimension glauben wollen. Irgendwie wirkt das Verhalten der kategorisch verneinenden DorfbewohnerInnen vor dem Hintergrund des „erleuchteten“ Gomez wie ein Verweis auf das platonische Höhlengleichnis und wie eine Metapher für eine am Neuen uninteressierte Gamesindustrie, die sich im sicheren Dorf des Bekannten und Bewährten aufhält, während da draußen Welten über Welten und ganze Dimensionen darauf warten, erkundet zu werden. FEZ mag zwar eigentlich ein 2D-Spiel sein, stellenweise fühlt es sich aber an, als wäre es das erste wirklich dreidimensionale. Wenn es ein Spiel schafft, dass man wieder Stift und Papier zur Hand nimmt, um sich Notizen zu machen und dabei dieselbe Aufregung empfindet, wie in der Kindheit, weiß man, dass es etwas ganz Besonderes ist. Manchmal, so scheint es, heißt Fortschritt, einen Schritt zurückzugehen.

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Wertung: 10 Pixel

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