Huawei Mate Xs Test: Teure, faltbare Produktivitätsmaschine
Mit dem Huawei Mate Xs ist ein faltbares Smartphone erhältlich. Was kann ein großes Handy, das durch Aufklappen zum Tablet wird? Lest hier das Review!
Warum eigentlich … ein faltbares Smartphone?
Die Idee der eierlegenden Wollmilchsau ist so alt wie die Menschheit selbst. Was wäre, wenn herkömmliche Begrenzungen und Limitierungen nicht mehr zählen? Dieses Denken steckt hinter jeder wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaft. Was früher noch einst als undenkbar galt, ist heute dank unablässiger Forschung und Entwicklung schon irgendwie Standard geworden. Selbstfahrende Autos sind etwa weniger eine Frage der Technik geworden, sondern viel eher eine Frage der Ethik und der Gesetzgebung. Genauso hätte vor einigen Jahren niemand zu träumen gewagt, dass heutzutage fast jeder ein Gerät, verknüpft mit Unmengen an Information, besitzt.
Um zur ursprünglichen Frage zurückzukehren: Was wäre, wenn die Größe und der Formfaktor eines Smartphones veränderbar ist? Wenn ihr ein Smartphone braucht, ist es ein Smartphone, und wer für die aktuelle Aufgabe ein Tablet braucht, kann es in Sekunden in ein solches verwandeln. Die Vorzüge dieser Idee liegen klarerweise auf der Hand, doch erste Experimente wie etwa beim Samsung Galaxy Fold mussten leider scheitern. Durch solche schwachen Versuche wurde das Vertrauen in die Technologie „faltbares Display“ früh erschüttert – unnötig, wie ich hinzufügen möchte. Denn es gibt auch Ansätze, die das Ganze greifbarer machen. Nicht ganz perfekt, aber immerhin!
Gestatten, Huawei Mate Xs
Mit dem Huawei Mate Xs erobert der chinesische Hersteller zeitnah den Markt mit einem faltbaren Smartphone. Auf den ersten Blick erwartet euch „nur“ ein großes Smartphone, das ein wenig an Sonys aktuelles Xperia 1 II erinnert. Ja, Huaweis neuester Streich ist ein wenig dicker (11 statt 8 Millimeter beim Sony-Gerät), aber eine 6,6 Zoll große Bildschirmdiagonale und ein OLED-Bildschirm lassen schon absolute Premium-Hardware vermuten. Deswegen steckt auch ein tablet-tauglicher Prozessor im Inneren, der Huawei Kirin 990 5G – er sorgt nicht nur für massig Power im Alltag, sondern auch für namensgebenden 5G-Empfang.
Wenn es euch also wichtig ist, auch für den neuesten Mobilfunk-Standard gerüstet zu sein, seid ihr hier richtig. Das Gewicht mit etwa 300 Gramm ist unverblümt hoch, und würdet ihr das Mate Xs nur als reines Smartphone verwenden, geht das gerade noch so als Premium-Feeling durch. Anstatt ein Sandwich aus Glas und Edelstahl wie bei allen anderen Smartphones in den Händen zu halten, habt ihr hier ein Kunststoff-Display in der Hand, das sich verdächtig auffällig um die linke Kante biegt. Rechts habt ihr einen dünnen Streifen, der einen USB-C-Port, die Standbytaste, die Lautstärkewippe, die Kameras und einen roten Knopf beherbergt. Wenn ihr diesen auslöst, fängt das Erlebnis erst an.
Auf die Plätze, fertig, falten
Die offizielle Website verspricht nicht zu wenig: Nach dem Knopfdruck springt das Display von seiner Arretierung weg und wartet darauf, von euch nach vorne gebogen zu werden. Das liest sich wesentlich filigraner, als es in der Praxis ist – dieser Mechanismus ist dafür gedacht, dass er viele tausende Male benutzt wird. Keine Sorge, wenn ihr ein Knacken hört, dieses dient als Arretierungsgeräusch und ihr wisst, dass das Display nun vollständig geöffnet ist. Habt ihr das Smartphone entfaltet, habt ihr plötzlich ein 8-Zoll-Tablet in der Hand, mit seinen gesamten 2200 x 2480 Bildpunkten hell leuchtend. Android 10 reagiert stets wunderbar und passt die Oberfläche binnen einer Sekunde an.
Genauso simpel lässt sich das Huawei Mate Xs auch wieder zusammenklappen. Während ihr für das Aufklappen zwei Hände braucht, könnt ihr das Smartphone mit nur einer Hand zufalten. Das Gelenk hält den Bildschirm ordentlich fest, und ich persönlich mag das Gefühl, dass hier eher mehr Kraft nötig ist als weniger. Im Testzeitraum hat mir nichts vermittelt, dass der ausgeklügelte Mechanismus zu einer Schwäche werden würde. Allerdings fällt auf, dass sich das Display durch diese besondere Falttechnik nicht nur vorne, sondern auch gleichzeitig hinten befindet. Wenn es euch also irgendwie möglich ist, solltet ihr das Huawei Mate Xs auf keinen Fall unkontrolliert fallen lassen.
Was macht das Mate Xs besonders?
Die Power des integrierten Kirin 990-Prozessors lässt dieses Smartphone für nichts zu schwach oder zu wenig performant sein. Je nachdem, wie ihr das Gerät nutzt, setzt ihr dessen Kraft ein – soweit nichts Neues. Es macht irgendwie schon Spaß, Apps im Bedarfsfall mal in ein anderes Bildformat zu verwandeln. Gerade bei Kalendereinträgen, beim Videos ansehen, beim Betrachten von Panoramafotos oder beim Internetsurfen ist die Möglichkeit, das Mate Xs einfach rasch mal in ein Tablet zu verwandeln, nicht zu unterschätzen. Hat man das Gerät ein paar Tage in Dauerverwendung, sieht man davon ab, das Alleinstellungsmerkmal so eben als Marketing-Gimmick abzutun.
Die Vorteile dieses Manövers liegen natürlich klar auf der Hand: Mehr Platz und eine bessere Nutzung des Raums ergeben eine erhöhte Produktivität. Beim Tippen ist mir persönlich das aufgeklappte Huawei Mate Xs eine Spur zu breit, da bevorzuge ich es ein wenig schmaler beziehungsweise zugeklappt. Was die Akkulaufzeit angeht, so läuft der Zweitbildschirm (oder besser gesagt: die Rückseite) nicht die ganze Zeit mit. Nutzt ihr also dieses Smartphone fast nur im zugefalteten Zustand, habt ihr hier ein Gerät mit ordentlicher Akkulaufzeit in den Händen. Zwei Tage Normalnutzung sind da keine Seltenheit, dafür sorgt der 4.500 mAh fassende Akku, ein ziemlich guter Wert.
Der Zustand der Huawei AppGallery
Leider ist es aufgrund der aktuellen Situation zwischen den USA und China nach wie vor so, dass man auf diesen Umstand hinweisen muss: Sämtliche aktuellen Geräte von Huawei haben keinen Zugriff auf den Google Play Store und all den Apps, die damit einhergehen. Eure Käufe und Abonnements können mit einem solchen Smartphone derzeit nicht verwendet werden – es gibt zwar inoffizielle Anleitungen, aber auch diese müssen nicht zwingend für alle Apps funktionieren. Banking-Apps, die ihr nicht aus der AppGallery habt, lassen sich beispielsweise gar nicht erst zum Laufen bekommen. Das ist schade, denn das Huawei Mate Xs gehört mit seinen Brüdern zur besten Hardware, die es gibt.
Besonders fies wird der Umstand dadurch, dass dieses Smartphone den Apps einiges abverlangt. Nicht nur, dass die EntwicklerInnen ihre Apps nochmals eigens für die Huawei AppGallery bereitstellen und warten müssen, es geht auch darum, beide Bildformate gleichzeitig zu unterstützen. Grundsätzlich ist das unter Android kein Problem, aber dennoch sind längst nicht alle Apps bereit für das Huawei Mate Xs. Gemeinsam mit dem Fakt, dass ihr in der AppGallery zwar bereits respektable 45.000 Apps vorfindet, im Vergleich zu knapp drei Millionen Apps im Google Play Store ist es aber eine herbe Einschränkung. Da wartet noch viel Arbeit auf die Teams.
Vierfach-Kamera mit an Bord
Man kann kein Huawei-Smartphone testen, ohne dessen Kamera-Modul genau unter die Lupe zu nehmen. Spätestens seit dem Launch der Huawei P40 Pro-Serie gehört das Unternehmen und dessen Produkte zu den Top-Anbietern, was die Kamera-Funktionen angeht. Wenig überraschend setzt sich dieser Trend beim Mate Xs fort! Man bemerkt zwar, dass hier der Fokus nicht ganz auf den Objektiven und der Bildqualität liegt, aber das Smartphone schießt dennoch hervorragende Fotos und schlägt sich auch beim Drehen von Videos sehr gut. Gemeinsam mit dem integrierten Nachtmodus gibt es kaum Umgebungen, in denen ihr keinen guten Schnappschuss hinbekommt.
Für Huawei gehört das Vierfach-Ensemble aus Hauptkamera (40 MP), Ultraweitwinkel (16 MP), Teleobjektiv (8 MP) und Time of Flight-Sensor schon fast zur Standardausstattung. Besonders cool finde ich beim Mate Xs, dass es keine eigene Selfie-Cam gibt, sondern ihr einfach die Rückseite des Displays als Sucher und somit das Kameramodul eurer Wahl verwenden dürft. Die übliche Ausstattung zwischen Pro-Modus, Momentaufnahmen, Portrait-Modus, Blendeneffekten, Zeitraffern und mehr ist ebenfalls mit von der Partie. Dabei fällt auf, dass das Smartphone sowohl im gefalteten als auch im offenen Zustand sehr gut in der Hand liegt.
Über EMUI 10.0.1.146
Wie die Versionsnummer schon verrät, basiert der Huawei-eigene Skin auf Android 10. Der Sicherheitspatchlevel ist dabei halbwegs aktuell (am 14.7. vom 1. Mai 2020), und die programmierten Änderungen des Skins sind dabei weitaus weniger überladen, als dies in den letzten Jahren bei der lieben Konkurrenz der Fall war. Sämtliche Interaktionen mit dem Smartphone flutschen nur so, und fast immer gelangt ihr mit ein oder zwei Wischgesten beziehungsweise einer oder zwei Berührungen an euer Ziel. Der Skin dieser nahezu naturbelassenen Android-Version steht euch niemals im Wege!
Natürlich sind die mittlerweile bekannten Apps wie Phone Clone und der Huawei Store mit von der Partie. Sie sind in einem eigenen Ordner versteckt und werden von euch nur geöffnet, wenn ihr sie tatsächlich benötigt. Abgesehen davon ist kaum Bloatware auf dem Huawei Mate Xs vorinstalliert, das ist sehr löblich. Die Grundfunktionen sind klarerweise schon von Anfang an mit dabei, wie etwa eine Memo-App, App Twin (für das Nutzen zweier Konten bei einer App) und sonstige nützliche Programme. Sollet ihr darüber hinaus etwas auf das Gerät laden wollen, steht Huaweis AppGallery zur Verfügung.
Neuer Formfaktor: Was auffällt
Wie vorhin schon einmal erwähnt umschließt der faltbare Bildschirm sowohl die Front als auch die Rückseite des Mate Xs. Ja, das Smartphone an sich fällt mit 11 Millimetern (für diese Bauart) sehr dünn aus, und das bereitet BesitzerInnen doch ein wenig Sorgen. Grundsätzlich ist das Gerät nicht filigran, und der Faltmechanismus strahlt einiges an Selbstbewusstsein aus. Aber wenn euch dieses Smartphone einmal aus den Händen fallen sollte, glaube ich, dass nur noch ein Stoßgebet zur höheren Macht eurer Wahl wirklich hilft. Durch die neuartige Bauweise gibt es auch keine wirkliche Hülle oder einen Screen Protector, das würde dem Design eigentlich genau entgegenwirken.
Direkt über dem Gelenk ist der Bildschirm ein wenig wobblig, wie eine Mini-Luftblase. Man sieht diese Ungereimtheit kaum, kann sie aber sehr gut fühlen. Weiters ist das verbaute Display sehr fingerabdruckanfällig. Da ihr immer irgendwie auf einen Teil des Bildschirms greift, sieht das Huawei Mate Xs rasch dreckig aus, lässt sich aber schnell reinigen. Abseits davon gibt es aber nur Lob für das Smartphone. Der in die Standby-Taste integrierte Fingerabdrucksensor funktioniert rasend schnell, auch die Lautstärkewippe und die generelle Haptik fühlen sich super an. Die geringe Dicke von gerade mal 11 Millimetern im gefalteten Zustand machen das Smartphone alltagstauglicher als seine Konkurrenz.
Die Technik des Huawei Mate Xs
Neben dem bereits erwähnten Kirin 990 5G-Prozessor sind auch 8 GB Arbeitsspeicher sowie 512 GB Speicher für eure Medien an Bord. Die Auflösung des 8 Zoll-OLED-Bildschirms beträgt 2480 x 2200 Bildpunkte (offen), was sich in zwei Bildschirme (Hauptscreen mit 6,6 Zoll: 2480 x 1148, Rückseite mit 6,4 Zoll: 2480 x 892) aufteilt. Das Display hat eine Bildwiederholrate von 60 Hz, die Auflösung lässt sich zum Stromsparen intelligent herunterregeln, und nicht unterstützte Apps können von euch in den Einstellungen Skalierungsoptionen (16:9, 4:3 oder Vollbild) unterworfen werden.
Die vier Kameramodule mit 40 MP (Weitwinkel), 16 MP (Ultraweitwinkel), 8 MP (Teleobjektiv) und dem TOF-Sensor sind weiter oben schon abgehandelt worden, und der Akku mit seiner Kapazität von 4.500 mAh ebenfalls. Wie es der Kirin 990 5G-Prozessor bereits verspricht, könnt ihr mit dem Mate Xs 5G-Empfang nutzen, den passenden Tarif natürlich vorausgesetzt. Bluetooth 5.0, sämtliche WLAN-Arten und die übliche Batterie an Sensoren sind ebenso mit von der Partie wie auch Android 10, das dank EMUI 10.0.1.146 von Huawei in einer eigenen Geschmacksrichtung ausgeliefert wird.
Cooles Neuland, gute Ideen, aber der Preis?!
Ja, das Huawei Mate Xs verspricht euch einen Produktivitätsboost. Das macht auch Sinn, denn im Prinzip habt ihr damit ein iPad mini im Hosentaschenformat (also, für große Hosentaschen gedacht) mit dabei! Aufgeklappt ist das Gerät so gut wie quadratisch, was für viele Apps Sinn macht und sich auch angenehm halten lässt. Doch abgesehen davon muss man ganz klar sagen, dass dieses Smartphone das erste seiner Art ist. Hier wird Huawei bestimmt in den nächsten Jahren noch nachbessern und andere Modelle vorstellen, und als First-Generation-Gerät hat mir dieses Smartphone um einiges besser gefallen als das Fiasko namens Samsung Galaxy Fold.
So eine Wertung steht und fällt natürlich mit dem Preis. Denn unter anderem ist für NutzerInnen das Preis/Leistungs-Verhältnis wichtig, und das ist beim Huawei Mate Xs keine Ausnahme. Der Preis ist aber horrend hoch: Jenseits der 2.400 Euro sind für das Faltsmartphone zu berappen! Hinzu kommen noch die bekannte Einschränkung, dass ihr auf fast sämtliche Apps aus dem Google Play Store verzichten müsst, sowie die baubedingt erhöhte Anfälligkeit für Schäden und Fingerabdrücke hinzu. Auch, wenn dieses Gerät eine beeindruckende Zurschaustellung der neuesten Technik ist: Zum Vollpreis kaufen solltet ihr das Gerät nicht, wenn ihr es nicht unbedingt braucht.