Können Roboter lieben? NieR: Automata-Test

von David Kolb-Zgaga 14.03.2017

NieR: Automata bietet auf den ersten Blick Höschen-Blitzer, eine PS3-Grafik und eine typische JRPG-Story. Der zweite Blick lohnt aber ungemein, denn das Action-Rollenspiel stellt sich die Frage, ob Androiden Gefühle, ja sogar Liebe empfinden können und brilliert obendrein mit actiongeladenen Kämpfen, Marke Platinum Games, und einem wilden Mix aus Twinstick-Shooter und 2.5D-Shoot’em-Up. Nach dem etwas holprigen Start hat mich NieR: Automata überrascht und sogar aus den Robolatschen gekickt.

Aller Anfang ist schwer bei NieR: Automata

Nach einem 45 GB großem Download sehe ich endlich den Titelscreen von NieR: Automata, doch Moment mal – da steht ja noch etwas. “Das Spiel verfügt über keinen Autosave, versuch einfach selbst rauszufinden, wie man speichert”. Als alter Bayonetta-Fan für mich doch kein Problem und ich starte das Spiel auf dem Schwierigkeitsgrad Schwer. Nach bereits fünf Minuten sterbe ich in einer Shoot-em-Up-Sequenz und da ja nicht gespeichert wurde, darf ich mir die gesamte Anfangssequenz (nicht überspringbar) noch einmal ansehen. Nach vier weiteren Anläufen (die erste Zwischensequenz kann ich mittlerweile mitsprechen), stehe ich nach gut 45 Minuten vor dem dritten Boss des Prologs. Er hat nur mehr ein Viertel seiner Lebensleiste. Aufgeregt schlage ich einmal zu viel auf den Koloss ein, er trifft mich im Gegenschlag und mein weiblicher Androide 2B segnet das Zeitliche. Meine Nachbarn können jetzt noch meinen Aufschrei im Stiegenhaus hallen hören! Nach einer kurzen Pause, um die Nerven ein wenig zu beruhigen, nochmals angefangen, diesmal auf „Normal“ und dann hat es auch mit dem Prolog geklappt. Endlich kann auch gespeichert werden – zumindest an manchen Orten im Spiel.

2B or not 2B

„Alles was lebt, muss auch sterben. Wir sind fortwährend gefangen, in einem ewigen Kreislauf aus Leben und Tod.“

Der Auftakt hätte mir fast den letzten Nerv geraubt und doch habe ich etwas mitgenommen: die ersten Sätze, die in NieR: Automata gesprochen werden lauten: „Alles was lebt, muss auch sterben. Wir sind fortwährend gefangen, in einem ewigen Kreislauf aus Leben und Tod.“ Zuerst habe ich diesen One-Liner noch als philosophisches Geschwafel abgetan, nachdem ich aber diesen Kreislauf mehrmals mitgemacht habe, habe ich verinnerlicht, dass dieser Satz große Bedeutung für den Verlauf der Geschichte hat. So übernehme ich im Spiel die Androidin 2B (!) und bekomme nebenbei auch noch meinen Sidekick und Helfer 9S an die Seite gestellt. Das Duo kämpft auf der zerstörten, verlassenen Erde gegen die Roboter der Alieninvasoren. Diese Maschinen haben in der Abwesenheit der Aliens jedoch ein eigenes Bewusstsein entwickelt und imitieren nun die Sprache und Verhaltensmuster der Menschen. Dies ist nicht nur ein wichtiger Faktor für den Krieg gegen die Maschinenwesen, es führt auch dazu, dass sich die beiden Androiden 2B und 9S selbst hinterfragen.

Mehr als ein Durchgang

Nachdem dann die Credits über den Bildschirm laufen, habe ich vieles von dem Verstanden, was die Figuren von sich gegeben haben, die nicht müde werden ihre eigene Künstlichkeit immer wieder zu betonen. Ich bin außerdem kein Spieler, der gerne Titel mehrmals durchspielt – bei NieR: Automata kann ich dies aber trotzdem ausdrücklich empfehlen. Nach dem ersten Durchspielen ändern sich Perspektiven und neue Geschichten bzw. Ansichten auf das Geschehen tun sich auf. Das ist auch notwendig, denn die Story ist vielschichtig und kann nur mit mehreren Durchläufen komplett verstanden werden. Allerdings enthält die Geschichte auch ein paar seichte Momente, die es meiner Meinung nach so nicht gebraucht hätte. Insgesamt erinnern Stil und Handlung aber an einen Arthouse-Film, der spannende philosophische Fragen stellt und diese dann von verschiedenen Blickwinkeln aus beantwortet. Allein deshalb lohnt es sich schon NieR: Automata zu spielen, aber es gibt noch einige andere Gründe, warum dieses Action-Rollenspiel spielenswert ist.

Genre Mix

Einer dieser Gründe ist das Gameplay, welches sowohl Veteranen, wie auch Neulingen genügend Anpassungsmöglichkeiten bietet, um spannend zu bleiben. Die Jungs und Mädels bei Platinum Games haben wieder einmal gezeigt, wie man actioninszenierte Gefechte richtig umsetzt. Die Steuerung ist intuitiv und nach ein paar Stunden vollführt man bereits dynamische und visuell elegante Kampfchoreografien. Ähnlich zu Bayonetta gibt es auch bei NieR: Automata eine Ausweichfunktion, die mit dem richtigen Timing nicht nur Schaden verhindert, sondern auch mächtige Konter einleitet. 2B kann dabei jederzeit zwei Nahkampfwaffen gleichzeitig führen, die für schwere, langsamere oder leichte, schnellere Angriffe dienen. Diese Waffen können durch gefundene Ressourcen aufgelevelt werden. Die verschiedenen Schwerter, Äxte und auch Speere spielen sich dabei sogar untereinander angenehm unterschiedlich. Immer wieder ändert sich dann auch die Kameraperspektive und damit sogar das Spielgenre. In fließenden Übergängen wird NieR: Automata zum Sidescroller oder Shoot’em-Up, wo im Stile alter Arcade-Klassiker Horden an Gegnern weggeballert werden. Sogar Gameplaymechaniken aus Dark Souls finden sich im Spiel wieder, denn wenn 2B (nach dem Prolog) stirbt, kann ihr kaputter Androidenkörper repariert und ihr letzter Chipsatz aufgesammelt werden. Es ist sogar möglich, dass der alte Körper als KI-Mitstreiter in den kommenden Kämpfen aushilft.

Was für ein Soundtrack!

Der Chipsatz von 2B ist besonders wichtig, denn der Platz der Platine ist begrenzt und hier können Verteidigung, Angriff und Statuswerte verbessert werden. Um Platz zu sparen, können sogar HUD-Interfaces, wie Lebensanzeige oder Minimap ausgeschaltet werden. Sogar das Betriebssystem kann entfernt werden, was aber im sofortigen Tod von 2B resultiert. Trotzdem sind es aber gerade auch diese kleinen Details, die NieR: Automata so besonders machen.

Kleine Details gibt es bei der Grafik leider nicht, denn dem Spiel sieht man deutlich an, dass es ursprünglich für die PS3 entwickelt wurde. Dass die Welt sehr trist ausfällt, passt zwar ganz gut zur Atmosphäre, die Grafik hätte aber ruhig weniger klobig und ein bisschen abwechslungsreicher ausfallen dürfen. Zwar gibt es in der Spielwelt mit versteckten Höhlen einige Geheimnisse zu entdecken, die Flora und Fauna wirkt mit ihren sehr statischen NPCs aber weitest gehend undynamisch. Da freut man sich über die freischaltbaren Schnellreisepunkte, die 2B lange Laufwege erspart.

Nier: Automata

Apropos NPCs, die Gespräche sind nicht alle vertont, doch abgesehen davon ist der Soundtrack unglaublich gut gelungen. Die Melodien und die eigens komponierten Songs erzeugen z.B. durch den Einsatz von orchestralen Klängen und Chören immer genau die richtige Stimmung. Es gab sogar Momente, wo ich nur deshalb in einem bestimmten Gebiet geblieben bin, um den Soundtrack in Ruhe fertig hören zu können. Das hatte ich seit The Legend of Zelda: Twilight Princess nicht mehr!

Fazit

Ansonsten finde ich die Open World zwar unnötig, jedoch enthält sie auch coole Schauplätze, wie einen eigenen Roboter Vergnügungspark und bei ca. 50% des Spiels passieren Ereignisse, die die Gestaltung der Welt noch einmal deutlich beeinflussen. Das Speichersystem ohne Autosave und die vorgegebenen Speicherorte machen das Spiel meiner Meinung nach nicht besser. Zwar kommt dadurch ein Nervenkitzel hinzu, der Weg zum nächsten Boss, inklusive aller Zwischensequenzen war mir aber dann oftmals deutlich zu weit bzw. zu lang. Ich habe schon verstanden, dass der oben erwähnte Zyklus aus Leben und Tod so besser dargestellt werden kann, das Spiel an sich wird so aber behäbiger, was im absoluten Kontrast zum actiongeladenen, flotten Gameplay an sich steht. Aber genau das ist großartig ausgefallen und macht mir auch noch nach etlichen Stunden Spaß. Kaum ein anderes Kampfsystem ist vom Trefferfeedback und seinem Kontersystem so befriedigend, wie die Spiele von Platinum Games. Im Gegensatz zu Bayonetta sind die Bosse zwar nicht ganz so imposant, passen aber ausgezeichnet zum Setting und haben einige fiese Kniffe auf Lager, um den Lebensbalken von 2B zu leeren. Auch optisch wird dabei viel Abwechslung und Kreativität geboten, denn so müssen die beiden Androiden schon mal gekreuzigten Robotern ausweichen, die das Duo mit Dauerfeuer belagert. Die Geschichte von NieR: Automata bietet Liebhabern von vielschichtigen Stories eine philosophische Erzählung, die durch mehrmaliges Durchspielen sogar noch spannend und reizvoll erweitert wird. Trotz des ein oder anderen Mankos bei Grafik und der drögen Open World, schafft NieR: Automata eine Spielerfahrung, die ich keinesfalls missen möchte.

Wertung: 8.7 Pixel

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