Lederjacke statt Cape und Strumpfhose – Jessica Jones: Staffel 1 im Test
Zum Marvel Cinematic Universe gehören längst nicht nur mehr Blockbuster auf der großen Leinwand, auch das Heimkino wird fleißig bedient. Ich habe mir mit der DVD-Box zu Jessica Jones: Staffel 1 die Geschichte einer unbekannteren aber umso interessanteren Superheldin angesehen.
Von der Vergangenheit eingeholt
Da es zur simplen Ausstattung der DVD-Box, die neben den 13 Episoden keinerlei Zusatzmaterial und nur die drei Sprachausgaben Deutsch, Englisch, Französisch bietet, nicht viele Worte zu verlieren gibt, wollen wir uns gleich medias in res der Serie selbst widmen.
Wir lernen Jessica Jones als einzelgängerische, schroffe Privatdetektivin kennen, die in ihrem heruntergekommenen New Yorker Apartment das Büro “Alias Investigations” betreibt. Nach und nach wird klar, dass sie dieses Leben erst seit ein paar Monaten führt, nachdem sie vor einem Mann namens Kilgrave flüchtete, der sie mittels Gedankenkontrolle zu seiner Gefangenen gemacht hatte. Dass es nie eine gute, dauerhafte Lösung ist, vor seinen Problemen wegzulaufen, wird Jessica klar, als sie von zwei besorgten Eltern beauftragt wird, ihre plötzlich verschwundene Tochter zu suchen und erkennt, dass diese unter dem Einfluss Kilgraves steht. Jessica macht es sich daraufhin zur Aufgabe, Kilgrave ein für alle Mal zu stoppen. Eine Aufgabe, die viel Schmerz und Leid mit sich bringt.
Die Handlung schafft es, einen wirklich von der ersten Episode an, in seinen Bann zu ziehen. Die Jagd nach Kilgrave nimmt mehrere Wendungen und Jessica durchläuft mehrere Sinneswandel. Dass diese Elemente konstruiert wurden, um die Geschichte auf dreizehn Stunden auszuwalzen, ist einem als ZuseherIn völlig bewusst und dennoch genießt man jede einzelne davon. Vorallem, da die Entscheidungen der Charaktere stets nachvollziehbar menschlich sind, verzeiht man ihnen ihren oft unangebrachten oder vergeudeten Edelmut.
Hervorragende schauspielerische Leistungen
Die Glaubhaftigkeit der Charaktere ist nicht nur dem guten Drehbuch sondern zum großen Teil den hervorragenden schauspielerischen Leistungen der Besetzung geschuldet. Krysten Ritter spielt die pessimistische, schuldbeladene Jessica Jones mit ihrer meist kalten I-don’t-give-a-damn-Attitüde gekonnt nuanciert. “Der menschliche, fehlbare Superheld” mag gerade in Mode sein, doch Jessica Jones verdient in dieser Disziplin ein Krönchen. Auch die prominenten Nebencharaktere – der Lover Luke Cage, die beste Freundin Trish Walker, der Polizist Will Simpson und die schrägen Nachbarn – sind wunderbar besetzt worden.
David Tennant stellt sich in der Rolle des Antagonisten Kilgrave der schweren Aufgabe, einen dieser zwiespältigen, psychopathischen Bösewichte zu verkörpern, die einen irsinnig charismatischen Eindruck hinterlassen, nur um im gleichen Atemzug mit erschreckend skrupellosen und grauenhaften Taten zu schockieren. Zwar reicht er dabei nicht an die Faszination eines Ramsey Bolton oder eines James Moriarty heran, gibt jedoch einen formidablen und würdigen Gegner für Jessica Jones ab.
An dieser Stelle empfehle ich die Serie im Originalton zu genießen, der die schauspielerischen Leistungen um einiges besser zur Geltung bringt, als es die deutsche Synchronisation vermag, die sich auf O.C.,-California-Niveau bewegt.
Nichts für schwache Nerven
Neben der spannenden Handlung und den vielschichtigen Charakteren imponierte mir auch die ungeschönte, dreckige Welt von Jessica Jones: Das herabgekommene Apartment inklusive Hauskakerlake, der unbarmherzige Egoismus der Stadtbewohner und die alltäglichen Miseren. Generell ist Jessica Jones nichts für schwache Nerven! Der Level an expliziter Gewalt war für mich manchmal grenzwertig. Dargestellte Gewalttaten und Morde sowie die daraus resultierenden Verletzungen und Verstümmelungen wirken in ihrer direkten Intensität kaltschnäuzig, nah und grausam.
Mein Fazit zu Jessica Jones: Staffel 1
Ich war für lange Zeit dem amerikanischen Comic eher abgeneigt. Zu eindimensional, heroisch und unfehlbar waren mir die strahlenden Strumpfhosen und Cape tragenden Helden, die mit perfekt gestylter Schmalzlocke von den Covern lachten. Schön, dass mich Jessica Jones eines Besseren belehren konnte und zeigt, dass es auch anders geht: komplexe Charaktere, eine spannende Handlung, die 13 Stunden lang fesseln kann, und einige Inhalte, die nichts für schwache Nerven sind. Wer eine erwachsene, gut erzählte und hochwertig produzierte Superheldengeschichte sucht, wird hier fündig.