Lil’ Guardsman Test (PS5): Humorvolles Point-and-Click trifft Papers, Please
Wer darf rein, und wer nicht? In Lil’ Guardsman übernehmt ihr die Kontrolle über den Wachposten. So viel Humor und so viel Tiefe!
Über Lil’ Guardsman
Stellt euch vor, ihr seid 12 Jahre alt und plötzlich für das Wachhäuschen am Burgtor verantwortlich. Bereit? Dort entscheidet ihr nämlich, ob Kobolde und über 100 andere Charaktere Einlass erhalten. In Lil’ Guardsman erwartet uns eine tolle Kombination aus Deduktion, Narrative und Rätselspiel. In diesem Deduktionsabenteuer schlüpft ihr in die Rolle von Lil – einem untypischen 12-jährigen Mädchen –, das die Schicht ihres Vaters im Wachhäuschen übernimmt und die Aufgabe bekommt, über das Schicksal von mehr als 100 einzigartigen Charakteren zu entscheiden. Im Laufe des Spiel befragt ihr Menschen, Elfen, Kobolde, Zyklopen und weitere Fantasiegestalten und entscheidet munter drauflos. Dabei reagiert ihr mithilfe eurer Kombinationsgabe und Werkzeuge anhand ihrer Antworten auf eure Fragen, wen ihr hineinlasst und wem ihr den Zutritt verweigert.
Besucher ins Gefängnis zu schicken, sie versehentlich in Stücke zu sprengen oder sie fröhlich ihres Weges ziehen zu lassen, das gehört alles zu eurem Job. Aber Vorsicht! Wen ihr durch das Burgtor lasst, entscheidet über das Schicksal des Königreichs. So bringt ihr Sprawl und seine wunderlichen und schrulligen Bewohner dazu, einer königlichen Hochzeit mit einem von zwei Königreichen zuzustimmen, die um eine Allianz wetteifern, und steht ihnen während der anschließenden Belagerung durch denjenigen bei, den ihr im Zuge dessen verärgert hast. Eure Entscheidungen bestimmen das Schicksal der Stadt und ihrer Bewohner. Zudem verdient ihr Gold, das ihr ausgeben dürft, um eure Werkzeuge aufzurüsten, damit ihr wisst, wer die richtigen Figuren sind, die ihr hereinlassen oder doch lieber draußen lassen sollt. Trailer zu Lil’ Guardsman gefällig? Hier ist einer für euch!
Eure Schicht beginnt
Fast schon wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, oder jedem anderen Job auch, beginnt euer Tag mit dem Aufstehen. Lil hört dabei Radio und bekommt dabei schon einige Infos über das Leben in Sprawl präsentiert. Damit nicht genug, es gibt immer wieder Briefe vom Vater und den königlichen Erlass. Ihr solltet euch tunlichst daran halten, was im Erlass gesagt wird: Mal gibt es offiziell die Vorgabe, dass ihr auf keinen Fall Kobolde reinlassen dürft, oder ihr müsst zuvor gewisse Leute anrufen, ein anderes Mal müsst ihr andere Bedingungen einhalten. Diese Rahmenbedingungen gelten fast immer, aber nicht ausschließlich für eure Arbeit am Burgtor, wo ihr Konversation mit den Vorbeiziehenden betreibt und erfahrt, woher sie kommen und warum sie um Einlass bitten. Dieser Teil von Lil’ Guardsman erinnert wohl direkt an Papers, Please, doch keine Sorge – da kommt noch Anderes auf euch zu.
Damit ihr „richtig“ entscheidet, stehen euch so manche Werkzeuge zur Verfügung. Darunter befinden sich ein Wahrheitsspray, ein Metalldetektor, ein Röntgengerät und eine Gerätschaft, die euch einfach mal in der Zeit zurückreisen lässt. Dieses persönliche Zeitreisegerät – der Chronometer3000 – ermöglicht es euch, Gespräche oder gar den Tag neu anzufangen, damit ihr die Höchstpunktzahl für jede einzelne Figuren einheimsen könnt. Denn ihr müsst jeden Tag mit zumindest zwei Sternen im Schnitt abschließen! Jedenfalls ist dieser Life is Strange-Twist gut gelungen und kann auch nicht nach Belieben eingesetzt werden. Es gibt eine Grenze dabei, und wer nun glaubt, dass es in Lil’ Guardsman nur um den Job am Wachposten geht, irrt. Denn es gibt auch ein Leben nach der Schicht, und hier wird das Spiel plötzlich zu einem wahren Point-and-Click-Abenteuer der allerfeinsten Güte.
Das Leben in Sprawl
Denn Sprawl, das Städtchen, in dem sich Lil’ Guardsman abspielt, bietet euch einiges zu tun. Mit jedem geschafften Level schaltet ihr nämlich wieder eine weitere Location in der Stadt frei, und ihr habt da viele Freiheiten. Konfiszierte Dinge beispielsweise wie ein Horn oder ein Lötkolben können entweder zu barer Münze gemacht werden, oder auch anderswo eingesetzt. Wer sich etwa in der Früh immer Zeit für das Radio nimmt, taucht damit tiefer in die Geschichte rund um Sprawl ein und erkennt dann zusätzliche Witze in der Welt des Spiels. Besonders cool ist, dass eure Handlungen am Burgtor immer irgendwelche Reaktionen – ob klein oder groß – auslösen.
Das zieht sich natürlich auch auf die dunklere Seite in Sprawl, denn manchmal ist neben den königlichen Erlässen auch in Gesprächen manchmal ein Wunsch da. Lasst ihr nun jemanden ein (oder nicht), weil es einfach ein Passant gesagt hat? Hat er oder sie eventuell von einem Goldsäckel gesprochen, das dann nach eurer Schicht möglicherweise in euren Besitz übergeht? Lil’ Guardsman bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie ihr eure Tage verbringen könnt, und natürlich lässt sich dies mit mehr Gold leichter bewerkstelligen. Ob ihr nun euren Vater bei gewissen Dingen finanziell unterstützt, einfacher eure Werkzeuge hochstufen könnt, diese mit dem guten Zeug anstatt der Billigware ausstattet und mehr: Bares ist Wahres, aber wie viel ist eure Moral wert?
Lil’ Guardsman im Wachhaus
In jeder Schicht werdet ihr immer wieder verschiedene Figuren mit ihren ganz eigenen Persönlichkeiten und Geschichten zu sehen bekommen. Ob es nun die Ogerfrau auf der Suche nach ihren Kindern ist, eine irre Massenmörderin mit zuckersüßem Gesicht oder einfach nur der Diener eines ansässigen Adligen: Es liegt an euch, die Wahrheit aus jedem in Lil’ Guardsman herauszukitzeln. Dabei habt ihr immer drei Aktionen pro Figur zur Verfügung: Entweder ruft ihr einen der drei Mächtigen in Sprawl an (aus den Bereichen Militär, Politik und Volk), oder ihr nutzt eines der fünf Werkzeuge (Wahrheitsspray, Metalldetektor, Röntgengerät, Dechiffrier-Ring und Peitsche), oder ihr sprecht einfach mit der Person. Nach diesen drei Aktionen – die ihr aber nicht alle jedes Mal wieder nutzen müsst – habt ihr eine Entscheidung zu treffen: Einlassen, Zutritt verweigern oder ab ins Gefängnis.
Je nachdem, ob ihr die Regeln im Erlass missachtet oder ob ihr euch mit manch illustren Figuren einlasst, hat das direkten Einfluss. Nicht befolgte Regeln führen in der Regel zu Geldstrafen, korrupte Spieler:innen bekommen schnell viel Gold zusammen, indem Wünsche erfüllt werden – und Sprawl, die Stadt in Lil’ Guardsman, wird sowieso immer die Konsequenzen eurer Taten zu spüren bekommen. Was noch klein und fein anfängt, wächst sich in den kommenden Tagen diametral zu einer Kriegssituation zusammen, und ihr entscheidet dann plötzlich, wer in die Armee eingezogen wird. Übrigens: Ihr bekommt nach jeder Figur stets sofortiges Feedback und eine Punktzahl zwischen einer und vier Sternen. Nach Ablauf eurer Schicht gibt es dann die weitere Geschichte, wie sich eure Entscheidung im Einzelfall auf die Person selbst und auf Sprawl ausgewirkt hat. Sehr cool, aber auch ausbaufähig!
Die Technik des Spiels
Irgendwie erinnert Lil’ Guardsman an gute Cartoons und kann gleichzeitig mit einer großen Prise Humor punkten. Visuell bringt das Spiel das Beste zum Vorschein, was Point-and-Click-Adventures so populär gemacht hat. Bunte Farben, markige Charaktere, coole Mimik: Hier wird alles auf den Punkt gebracht und das gleichzeitig auch kinderfreundlich. Viele Effekte dürft ihr nicht erwarten, das gibt das Gameplay aber auch gar nicht her. Die Werkzeuge tun das ihrige, und insgesamt macht es Spaß, sich durch die über 100 Charaktere zu fuchsen und überall die Höchst-Sterne-Anzahl einzuheimsen. Aber auch sonst ist es mal mehr und mal weniger fordernd, pro Tag den geforderten Durchschnitt von zwei Sternen zu schaffen.
Die Soundabteilung rund um die Heldin lässt es eher ruhig angehen. Während ihr von einer Musik per se nur mäßig mitbekommt, liegt der Fokus klarerweise bei den englischen Synchronsprecher:innen. Sie verrichten ihre Arbeit grandios und lassen alles genau so klingen, wie es beabsichtigt ist. Mal übertrieben, mal ganz subtil und auf jeden Fall immer mit einem Augenzwinkern werden die Anfragen, Täuschungsversuche und Betrügereien akustisch garniert. Das macht richtig Laune, und da steht dem Ganzen auch die Steuerung nicht im Weg. Als Point-and-Click-Adventure ist Lil’ Guardsman natürlich als PC-Titel und für Touchscreens prädestiniert, doch auch auf der PS5-Konsole kann man das Game via Controller wunderbar steuern. Dadurch, dass es keinen Zeitdruck gibt, könnt ihr euch viel Zeit dabei lassen, den Cursor auf der Oberfläche herumzubugsieren und alles funktioniert.
Der Humor in Lil’ Guardsman rockt!
Also, wenn man Terry Pratchett auf das Point-and-Click-Genre losließe, eine Prise von Papers, Please und dem Ganzen Cartoon-Charakter verleiht, kommt so etwas wie Lil’ Guardsman heraus. Das Spiel sprüht nur so vor Charme und wirkt manchmal wesentlich tiefgründiger (und sarkastischer), als es die vergnügte Aufmachung vermuten ließe. Dabei werden viele Themen behandelt – mal oberflächlicher und mal im Detail -, sodass man auch schon mal Vibes von Spielen wie Night in the Woods abbekommt. Das Gameplay macht jedenfalls ordentlich Laune, sodass man gerne mehrere Runden im Wachhäuschen sitzt. Die zur Verfügung stehenden Werkzeuge und Mechaniken sorgen dafür, dass sich Sprawl so richtig lebendig anfühlt und auf eure Entscheidungen immer wieder reagiert. Der überall drübergestreute Humor zündet zum Großteil richtig, strotzt nur so vor Filmanspielungen und bringt euch schon mal zum Lachen.
Da stören kleinere Deutsch-Englisch-Kauderwelsche bei den Untertiteln nicht (eine Sache von einem Update). Mir persönlich hätte es auch gefallen, wenn man nicht direkt nach der Entscheidung bei einer Figur den Score präsentiert bekommt und sich manche Konsequenzen erst viel später bemerkbar machen würden. So bleibt es halt bei den Quick-and-meistens-Dirty-Dialogen, die sich dank Kapitelauswahl und Zeitmaschine so gut wie beliebig oft wieder spielen lassen. Dass es auch genügend Abwechslung gibt, wie etwa Schlachten, Point-and-Click-Einlagen und eine vielschichtige Story, die in knapp zehn Stunden alles zusammenhält, macht Lil’ Guardsman zu einer leichten Empfehlung. Wenn ihr also auf der Suche nach einem Game seid, das humorvoll ist, euch über Dialoge die Geschichte vorantreiben lässt und um die 20 Euro kostet, seid ihr hier goldrichtig!