Lunchbox (Blu-ray) im Test

von Natalie Lamprecht 03.06.2014

Lunchbox, der erste Langspielfilm des Drehbuchautors und Regisseurs Ritesh Batra, der 2013 im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes seine Premiere hatte und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, zeigt die alchemistische Kraft liebevoll zubereiteter Speisen. Ob der Film so wohlschmeckend ist, wie er aussieht, erfahrt ihr in meinem Review.

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Facts

  • Genre: Romance, Drama
  • Publisher: EuroVideo Medien GmbH
  • Regie: Ritesh Batra
  • Releasetermin: 28. März 2014 (Österreich)

Liebe geht durch den Magen

Das scheint eine Kulturen übergreifende Überzeugung zu sein, denn Ila (Nimrat Kaur), die in Mumbai lebende Protagonistin, lässt sich von ähnlichen Überlegungen leiten: Sie versucht, ihrer Ehe wieder mehr Würze zu verleihen, indem sie für ihren Mann ausgefeilte Gerichte kocht. Vertrauensvoll überlässt Ila ihre kulinarischen Kunstwerke in einer mehrstöckigen Lunchbox täglich sogenannten Dabbawallas, die diese Jausenpakete fürsorglicher Ehefrauen einsammeln und an deren arbeitende Männer verteilen – und das nach einem ausgeklügelten System, das jede, aber auch wirklich jede dieser Lunchboxen trotz ihres weiten Weges und trotz der Tausenden Männer, die diese erhalten, dem Richtigen zuführt. Ganz Mumbai wird also von den Dabbawallas korrekt beliefert. Ganz Mumbai? Nein! Zwei dieser Lunchboxen – eine davon ist Ilas – werden vertauscht und jeweils dem falschen Mann vor die Nase gesetzt. Während also Ilas Ehemann ob des faden Blumenkohls die Nase rümpft, staunt der kurz vor seiner Pensionierung stehende, prosaische Versicherungsangestellte Saajan (Irrfan Khan) nicht schlecht, als das sonst durchschnittliche Essen, das er von einem Restaurant bezieht, plötzlich hervorragend schmeckt. Ila wiederum kann ihre Enttäuschung kaum verbergen, als ihr Mann nach Hause kommt und weder für „ihren“ Blumenkohl noch für sie ein freundliches Wort übrig hat. Wie kann das sein?, fragt sie sich, hat sie die Lunchbox doch vollkommen leer zurückerhalten. Also legt Ila auch am nächsten Tag ihre gesamte Kochkunst in die von ihr zubereiteten Speisen und dazu einen Brief an den ihr Unbekannten, in dem sie ihm dafür dankt, ihr Essen goutiert zu haben – woraus sich eine anfangs verhaltene, dann immer persönlich werdende Brieffreundschaft entspinnt, die sowohl das Leben Ilas als auch das Saajans – vielleicht – nachhaltig verändern wird.

http://youtu.be/3128c5Q7wXc

Der Speise Würze ist der Hunger

Verführung impliziert stets etwas Sinnliches. Und was könnte sinnlicher sein als ein wohlzubereitetes Mahl? Genau: wohlgewählte Worte. Noch besser ist eine Kombination dieser beiden – und das sind wohl die Ingredienzien, die Lunchbox so köstlich machen. Hier wird nicht nur gezeigt, dass gut zu Kochen eine Kunst ist, sondern auch, dass Essen zuzubereiten und zu Essen per se Akte der Zuneigung, Wertschätzung und Gemeinschaft sind. Ila und Saajan haben Hunger nach mehr: Nicht umsonst versucht Ila, ihre letztendlich zerrüttete Ehe durch ihre Kochkunst zu retten; nicht umsonst taut der zuerst so wortkarge und scheinbar gefühlsarme Saajan auf, nachdem er das Glück hat, ihre Speisen irrtümlich zugestellt zu bekommen. Ganz abgesehen von der offensichtlichen Feststellung, dass gutes Essen ein gutes Stück zum Glücklichsein beitragen kann, zeigt der Film genauso eindringlich, wie wichtig Kommunikation ist: Ila wechselt mit ihrem Mann täglich kaum ein paar Worte, ebenso geht es dem verwitweten Saajan, der seine Arbeit zwar sehr präzise, aber dafür äußerst schweigsam verrichtet, stets allein isst und stets allein seine Abende verbringt. Dass er auf Ilas ersten Brief mit „Dein Essen, das war heute versalzen“ antwortet, zeigt nicht nur den lakonischen Humor dieses Charakters, sondern auch, dass er einfühlsames Kommunizieren durch seine (teils unverschuldete, teils selbst gewählte) Einsamkeit verlernt hat – ein Großstadtphänomen, dem sich Lunchbox ebenso widmet.

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Dies führt mich zum Mantra des Films, der wiederholt geäußerten Sentenz „Manchmal führt der falsche Zug zum richtigen Ort“. Die Freundschaft der beiden ProtagonistInnen entsteht erst durch einen Fehler in einem System, in dem, so chaotisch es auch scheinen mag, kaum Fehler passieren: jenem der Dabbawallas, die äußerst gewissenhaft sind und ihre Arbeit nach einem strengen Kodex verrichten. Die Wahrscheinlichkeit, eine falsche Lunchbox zugestellt zu bekommen, geht angeblich gegen null; umso erstaunlicher und auch schöner ist es, dass jene Unwahrscheinlichkeit gerade diesen beiden einsamen Großstadtseelen trifft – die im Übrigen schließlich auch den Mut finden, ihr Leben, bestärkt durch den/die jeweils andere/n, zu ändern und so vielleicht zum Besseren zu wenden. Doch Vorsicht: Wer sich ein Bollywood’sches Happy-End erwartet, wird enttäuscht werden. In diesem Film wird mit nichts dick aufgetragen, nicht mit Komik, nicht mit Dramatik, nicht mit Action, nicht mit Moral. Lunchbox ist leise, zwischentönig. Und das ist vielleicht auch das Schöne daran: dass der Film das Leben so zeigt, wie es wirklich ist oder sein könnte. Ein „Feel Good Movie“, wie propagiert, ist Lunchbox damit nicht – dafür ist die Geschichte zu nahe an der Realität. Sie zeigt, dass kein System, und sei es noch so ausgefeilt, perfekt ist, dass keine Beziehung eine Garantie auf Gelingen hat; aber auch, dass aus Fehlern etwas Gutes entstehen kann und Einsamkeit kein lebenslängliches Urteil ist. Ob der „falsche Zug“ die beiden BrieffreundInnen an einen gemeinsamen Ort bringen wird – Bhutan schwebt im Raum, das Land, das dem Bruttonationalglück größere Bedeutung als dem Bruttoinlandsprodukt beimisst –, lässt Lunchbox dankenswerterweise offen.

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Bild, Ton & Extras

Lunchbox bietet den ZuseherInnen eine DTS-HD-Master-Audio-5.1-Tonspur und die Wahl zwischen Deutsch und Hindi mit deutschen Untertiteln. In der Originaltonspur wechseln die ProtagonistInnen übrigens willkürlich zwischen Hindi und stark mit indischem Akzent gefärbten Englisch, was die Multikulturalität Mumbais, vielleicht Indiens an sich, seine Diversität noch stärker hervorhebt, als die deutsche Tonspur dies zeigen kann. Eine ebenso wichtige Rolle wie Sprache spielt die Musik im Film: Zu Beginn von Lunchbox werden nur wenige Worte gesprochen und ebenso zurückhaltend die Szenen musikalisch untermalt – der Alltag Ilas und Saajans bleibt, obwohl sie in einer lauten, dicht bevölkerten Stadt leben, still. Erst, als die beiden „ins Gespräch kommen“, und vor allem in jenen Momenten, in denen Saajan Gefühle zulässt, kommt Musik ins Spiel: Das Aufkommen von Gefühlen korreliert hier mit dem Einsatz von Musik – ein subtiles und kluges Stilmittel.

Die Reduziertheit, die Konzentration auf das Wesentliche trifft auch auf die Bildsprache von Lunchbox zu. So lärmend und bunt man sich Mumbai vielleicht vorstellt, so nüchtern und eindringlich sind die Bilder (2,35:1 – 16:9), die wir von der Stadt und vor allem von den ProtagonistInnen zu sehen bekommen. Hier geht es nicht darum, die Großstadt zu zeigen, sondern um die Geschichte zweier Menschen, die durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall voneinander erfahren und sich in einer schwierigen Phase ihres Lebens Halt geben. Hierbei sei auch die schauspielerische Leistung Nimrat Kaurs und vor allem jene Irrfan Khans hervorgehoben. Die beinahe kammerspielartige Inszenierung der Geschichte rückt die beiden Charaktere stets in den Mittelpunkt: Kein noch so leises Minenspiel bleibt den ZuseherInnen verborgen. Wenn Saajan in der Kantine sitzt und sich verstohlen umsieht, um sicherzugehen, dass niemand ihn beim Lesen von Ilas Briefen ertappt, bleibt die Kamera stets auf ihn gerichtet – und damit auch der Blick des Publikums. Dass Lunchbox bei dieser Nähe zu den Charakteren niemals rührselig oder kitschig wird, ist zu einem großen Teil dem differenzierten Schauspiel Kaurs und Khans zu verdanken.

Die Extras sind nicht ganz so üppig ausgefallen wie Ilas Gerichte: Neben einem Interview mit Ritesh Batra im Rahmen der Cannes-Filmfestspiele 2013 gibt es einen Audiokommentar mit den HauptdarstellerInnen Kaur und Khan. Der wahre Bonus findet sich bei Lunchbox allerdings nicht auf der Blu-ray, sondern in der Hülle dazu: Das Booklet erweist sich als kleiner Schatz voll von Informationen über die Dabbawallas und Mumbai, die die Filmemacherin und Jounalistin Dorothee Wenner kompakt und vergnüglich zusammengefasst hat. Das Beste an dem Booklet sind aber drei Rezepte zu Gerichten, die Ila für Saajan zubereitet. Glaubt mir: Wenn ihr den Film seht, werdet ihr Lust darauf bekommen, diese auch zu kosten – oder für jemanden, der/die euch am Herzen liegt, zuzubereiten.

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Zusammenfassung

Zwei einsame Seelen in einer Großstadt finden durch einen unwahrscheinlichen Zufall und durch wunderbares Essen zueinander – so einfach ließe sich Lunchbox zusammenfassen, würde es sich um eine durchschnittliche Liebesgeschichte handeln. Ritesh Batra bleibt trotz allen Zaubers, den sein Film hat, aber dem Realismus verpflichtet. So erzählt er die Geschichte ohne kitschige Gesten und lässt für seine ProtagonistInnen Ila und Saajan und damit auch für uns ZuschauerInnen offen, ob sie sich tatsächlich finden werden. Dennoch: Der Spruch „Manchmal führt der falsche Zug zum richtigen Ort”, der im Film mehrmals zitiert wird, macht wohl nicht nur dem Publikum, sondern auch den beiden Figuren Hoffnung auf ein märchenhaftes Ende – und ein gemeinsames Mahl. Wer also leise Töne, poetische Geschichten ohne aufdringliche Romantik und indisches Essen mag, sollte einen Blick in diese Lunchbox werfen und davon kosten. Es lohnt sich!

Wertung: 9 Pixel

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