Mehr als die Summe seiner Teile: RiME im Test
Wer kann sich einen RiME darauf machen?
Wir erwachen als kleiner Junge an einem menschenleeren Strand. Ein mächtiger weißer Turm erhebt sich im Hintergrund, der von Beginn an eine seltsame Anziehungskraft auf uns ausübt. Wir rappeln uns also auf und beginnen die Insel, an die wir gespült wurden, zu erkunden, wobei wir uns immer weiter dem Turm und schließlich dessen Spitze nähern.
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Was hat es mit dieser von Ruinen übersäten Insel auf sich? Warum müssen wir zu diesem Turm gelangen? Was wird uns an seiner Spitze erwarten? Welchen Sinn hat unsere Reise? Waren wir schon einmal hier? Sind wir etwa der Königssohn einer längst vergangenen Zivilisation? – Diese und viele weitere Fragen beschäftigen uns während des Spiels, denn RiME verzichtet vollständig auf Gesprochenes und beinahe komplett auf Cutscenes. Die Geschichte wird das gesamte Spiel über durch wenige symbolhafte Wandmalerein und wirre Erinnerungs- oder Traumsequenzen erzählt. Erst in der Schlussszene offenbart sich, was tatsächlich geschehen ist und gibt somit allem, was wir gesehen und erlebt haben, eine neue, tiefere Bedeutungsebene.
Die kindliche Freude am Entdecken
RiME besitzt kein Tutorial, keine Minimap, kein HUD. Genau wie der gestrandete Junge sind wir fremd in dieser Welt und erforschen nach und nach ihre Gesetzmäßigkeiten. Das grundlegende Spielprinzip kann man sich ein wenig wie The Legend of Zelda ohne die Möglichkeit zu kämpfen vorstellen.
Der erste Grundpfeiler des Spiels ist das Erkunden der Insel. Wir klettern auf Felsen, wagen uns in Höhlen, tauchen unter Wasser oder lassen mit unseren Rufen große Vasen zerspringen, die neue Wege offenbaren. Wer die Augen offenhält und öfters vom Hauptpfad abweicht, wird nicht nur mit einem schönen Ausblick auf die Spielwelt belohnt, sondern findet auch allerlei Sammelitems. Da gibt es Bilder zu entdecken, die mich ein wenig an Malereien auf altgriechischen Amphoren erinnern, sowie Liedabschnitte, die mit einem Muschelhorn gespielt werden, oder alternative Outfits für unseren namenlosen Helden.
Das zweite Hauptelement von RiME sind die zahlreichen Rätsel, die es zu lösen gilt, um voran zu kommen. Durch verschiedene Hilfselemente bleiben diese jedoch meist recht einfach. Schon bald erhält unser Junge zum Beispiel einen Fuchsgefährten, der nur dazu da ist, um ihm durch sein Bellen den richtigen Weg zu weisen. Darüber hinaus heben sich sämtliche Interaktionsgegenstände durch ein bläuliches Leuchten oder einen goldenen Glitzerwind, in den sie gehüllt sind, deutlich von der Umwelt ab. Dennoch muss man RiME zu Gute halten, dass die Rätsel bis zum Schluss logisch und abwechslungsreich bleiben. Es ist vor allem bei späteren Rätseln eine wahre Freude, herauszufinden, wofür welches Element gebraucht werden kann, und was welchen Effekt auslöst.
Brüder im Geiste
In den etwa sechs Stunden Spielzeit und fünf unterschiedlichen Arealen, in die wir vordringen, wird es nie langweilig. Immer wieder werden neue Spielelemente eingeführt, die unsere Neugier erhalten, wenn sich das Spiel auch des öfteren wie ein Baukasten anderer geliebter Titel anfühlt.
So hat mich die hervorragende Lichtstimmung im Zusammenhang mit dem klaren aber detaillierten Cellshading-Grafikstil öfters an Journey erinnert. Angesichts der überwältigenden Größe mancher Bauwerke, der Leere der Spielwelt und der Einbindung unterschiedlicher Umgebungsrätsel, musste ich mehr als einmal an die Werke von Fumito Ueda (ICO, Shadow of the Collossus, The Last Guardian) denken. Und die kindliche Freude am Entdecken einer fremden Gegend sowie auch einige der Rätsel legen Vergleiche mit The Legend of Zelda nahe. Durch die Verschmelzung dieser Versatzstücke wird RiME zu einem Werk, dass Fans der obengenannten Titel mit ziemlicher Sicherheit gefallen dürfte. Am meisten Eigenständigkeit zeigt RiME in seiner bezaubernden, mediterran anmutenden Spielwelt sowie dem hervorragenden Charakterdesign und hebt sich so von seinen geistigen Vorfahren ab.
Nicht alles eitle Wonne
Auch wenn ich RiME mit den oben genannten Spieleklassikern assoziiere, reicht es spielerisch oft nicht an deren Genialität heran: Keine der Spielmechaniken ist wirklich neu. Weder das Erkunden der Insel, noch die Rätsel bieten viel, das man so nicht schon mal gesehen hätte. Manche Abschnitte, in denen man unter Wasser ist oder Feinden ausweichen muss, erschweren das Kernstück des Spiels – das Erkunden – gehörig und nerven so stellenweise. Selbst wenn sich schließlich zu Spielende der tiefere Sinn hinter diesen Abschnitten offenbart, werden sie dadurch nicht spielerisch ansprechender.
Technisch gesehen könnte man einiges an dem Spiel verbessern: In engen Räumen, will die Kamera so richtig, die Ladezeiten sind auf der PlayStation 4 ungewöhnlich lang und die Bildrate geht des öfteren in die Knie. Anderen Testberichten zufolge, sollen sich technische Probleme auf der Xbox One stärker bemerkbar machen als auf der PS4 und selbst auf leistungsstarken PCs soll die Bildrate instabil sein. Diese Kinderkrankheiten ließen sich jedoch mit einem nachgereichten Patch leicht beheben.
Fazit
Wer RiME nicht bis zum Schluss spielt, wird es als einen netten Puzzle-Plattformer kennen lernen, der wunderschön insziniert ist und stets abwechslungsreich bleibt, aber dessen Rätsel nie wirklich knifflig werden und bei dem es technisch noch einiges zu verbessern gäbe. Doch wer das Ende von RiME erlebt, entdeckt den tieferen Sinn hinter den einzelnen Spielabschnitten und sieht dadurch das Erlebte mit völlig anderen Augen.
Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass ein großartiges Ende nicht die Schwächen des restlichen Spiels ausmerzt, genauso wie mir ein miserables Ende nicht die Stunden Spaß nehmen kann, die ich zuvor hatte. Dennoch hat mich das Ende von RiME derart berührt, dass ich dem Spiel meine absolute Empfehlung ausspreche.