Mittelerde: Mordors Schatten (PS4) im Test
Mittelerde: Mordors Schatten tritt, wie schon viele Spiele zuvor, in die Fußstapfen der großen Tolkien-Lizenz um den einen Ring. Ob das Ork-Schnetzelfest von Monolith das EINE Mittelerde-Spiel, das den Erwartungen der Fans endlich vollkommen gerecht wird, oder doch nur eine erneute Lizenzgurke ist, erfahrt ihr in meinem Test.
Celebrimbor-ium
Die Geschichte in Mittelerde: Mordors Schatten hat weder etwas mit den Ereignissen in Der Hobbit zu tun noch mit Bilbo Beutlins hundertelftem Geburtstag, der den Anfang von Der Herr der Ringe bildet. Genauer gesagt kommen die fußbehaarten Gnome in der Story gar nicht vor. Das Spiel erzählt eine ganz eigene Geschichte, die zeitlich zwischen den beiden großen Werken Tolkiens angesiedelt ist. Ihr spielt den Waldläufer Talion, der als Hauptmann von Gondor das schwarze Tor bewacht, während der zweite dunkle Herrscher Mittelerdes, namentlich auch Sauron, sich mit seinen Generälen – der schwarzen Hand, dem Turm und dem Hammer – auf seine Rückkehr vorbereitet. Diese haben mithilfe ihrer Uruk-Armee bereits große Teile des zu dieser Zeit noch nicht ganz von der Dunkelheit verzehrten Mordors überrannt und die Menschen dort versklavt. Als die dunklen Heerscharen letztlich auch das schwarze Tor überrennen, verliert Talion nicht nur durch die schwarze Hand das Leben, sondern darf auch mitansehen, wie die finstere Gestalt seine Frau und seinen Sohn schächtet, bevor er ihn zu allem Überfluss auch noch verflucht.
Aufgrund dieses Fluchs wird Talion sogar vom Tod verstoßen. Doch lang ist er nicht allein in dieser Zwischenwelt gefangen, denn der Geist des Elbenkönigs Celebrimbor bemächtigt sich seines Körpers und führt ihn so in die Welt der Lebenden zurück, auf dass er an seinen und den Mördern seiner Familie Vergeltung üben kann. Doch der Elb macht das nicht aus Spaß an der Freud, denn wie sich herausstellt, hat er aufgrund einer gewissen Goldschmiedearbeit noch ein ganz persönliches Hühnchen mit Sauron zu rupfen.
Auch wenn eine Rachegeschichte in Open-World-Spielen in etwa so originell ist wie der/die typische HeldIn mit Amnesie in Rollenspiel XY, so ist sie doch sehr mitreißend und spektakulär inszeniert, kann mit Gastauftritten und -erwähnungen so manchen Charakters aus den Filmen aufwarten und entwickelt besonders gegen Ende hin einige Twists. Insgesamt also durchaus zufriedenstellend.
Friends with benefits
Wenn ihm das Wiedersehen mit der Liebsten und dem Sohnemann im Tod schon verwehrt bleibt, dann macht Talion halt das Beste aus dieser Lage und tritt erst einmal in ein paar Uruk-Hintern. Nicht, dass er das nicht auch ohne Celebrimbor schon ziemlich professionell betrieben hätte, aber sein neuer Beifahrer trägt durchaus den einen oder anderen Bonus zu Talions Kampfgeschick bei. So ein Elb ist immerhin ein großartiger Bogenschütze, und die Zeitverlangsamung während des Zielens, die er Talion ermöglicht, ist schon etwas sehr Feines, um wie Legolas im wilden Schlachtengetümmel einen Uruk-Kopf nach dem anderen mit einem Zwangspiercing zu versehen. Später könnt ihr euch mit Celebrimbors Hilfe gar der Orks bemächtigen und sie für euch die Drecksarbeit verrichten lassen; oder ihr zähmt durch Handauflegen einen Caragor und reitet auf ihm im Schweinsgalopp durch Mordor.
Das Kampfsystem in Mittelerde: Mordors Schatten hat man sich übrigens ganz frech bei der hauseigenen Batman: Arkham-Reihe abgeschaut. Genau wie dort reichen zwei Knöpfe, um spektakulär zwischen den Gegnern hin und her zu wirbeln und einprasselnde Hiebe zu kontern, während euer Kombozähler fleißig in die Höhe schnellt. Habt ihr mindestens acht Schwerthiebe aneinandergereiht, setzt ihr in ziemlich brutal dargestellten Hinrichtungssequenzen zum Todesstoß an, oder ihr schafft euch mit einem sogenannten Geisterblitz, der alle Orks zurückwirft, wieder etwas Platz um euch. Später ist es außerdem möglich, der anstürmenden Feindschar Energie abzusaugen und sie gleichzeitig zu brandmarken, was die Grünhäute dazu veranlasst, ihre Waffen gegen ihresgleichen zu richten.
Zer-Hackordnung
Um Talions Rache zu vollstrecken und Saurons Generäle für den Mord an ihm und seiner Familie büßen zu lassen, müsst ihr die Befehlshaber erst einmal hervorlocken. Hier kommt dann das groß beworbene und durchaus innovative Nemesis-System zum Einsatz. Die Orkmeute hat nämlich eine strenge Hierarchie, die sich von Hauptmännern über Häuptlinge bis hin zu Saurons bösem Stellvertreter-Triumvirat erstreckt. Dieser habt auch ihr Folge zu leisten, denn sowohl Aufenthaltsort, Identität und Stärken sowie Schwächen der Anführer sind euch zu Beginn komplett unbekannt. Um das zu ändern, solltet ihr nicht jeden Ork einfach einen Kopf kürzer machen, sondern einen am Leben lassen, aus dem ihr ein paar Informationen quetscht. Danach könnt ihr immer noch seinen Kopf explodieren lassen. So gelangt ihr nach und nach an die Informationen, die ihr benötigt, um eure Vergeltung zu bekommen
Ihr seid zwar durch euren geisterhaften Mitbewohner fast schon eine Einmannarmee, aber dennoch könnt ihr im Kampf auch unterliegen, gegen gewisse Ork-Anführer sogar oft, da jeder von ihnen eigene Stärken hat. Wenn ihr also vorübergehend das Zeitliche segnet – ihr werdet ja kurz darauf an einem sogenannten Schmiedeturm, die auch als Schnellreisepunkte fungieren, wiederbelebt –, dann steigt so die Macht eures Schlächters. Der entsprechende Uruk kann sich so auf kurz oder lang, wenn er euch dank seiner zusätzlichen Stärken immer wieder mal ins Gras beißen lässt, zu eurem Erzfeind entwickeln – erst recht, wenn er euch mit Hohn in der Schlacht begrüßt und euer Ableben gehässig kommentiert. Die Rechnung der EntwicklerInnen geht auf, denn selten hat man bisher in Spielen seine Widersacher so zu hassen gelernt. Die Orks sind aber auch nicht einfach nur generische Klone, sondern sehen alle unterschiedlich aus und haben durchaus Persönlichkeit – zwar eine miese, aber immerhin.
Zusätzlich zum Zores, den Talion mit den Hauptmännern hat, haben die Grunzer aber nichts Besseres zu tun, als sich im Zuge diverser Machtkämpfe auch untereinander die Positionen in Saurons Armee streitig zu machen. Das gereicht euch aber wiederum zum Vorteil, denn in speziellen Machtkampfmissionen könnt ihr böses Blut zwischen ihnen säen und sie gegeneinander ausspielen.
Jetzt allerdings zu einem Punkt, der mich persönlich etwas genervt hat. Wenn Talion stirbt, müsst ihr euch jedes Mal eine ca. 15 bis 20 Sekunden lange Sequenz ansehen, in der ihr das Gegrunze und Kriegsgeschrei der Orks anhören müsst und gleichzeitig beobachten könnt, wer welche Fehde mit wem ausgetragen hat und wer dadurch wiederum an wessen Stelle in der Rangordnung aufgerückt ist. Das ist die ersten zwei, drei Mal auch ganz nett anzusehen, aber danach nervt es nur noch. Hier wäre eine Skip-Funktion echt ganz nett gewesen.
Sinnlose Sammelei
Mittelerde: Mordors Schatten bietet euch die Möglichkeit, zwei riesige Bereiche Mordors, das Tal von Udûn und Nurn, zu erkunden. Neben den Hauptaufträgen, die allesamt sehr abwechslungsreich gestaltet sind, und den bereits erwähnten Uruk-Machtkämpfen, in denen ihr in den Reihen Saurons für Chaos und Zerwürfnis sorgen könnt, gibt es noch Missionen, in denen ihr die Legenden um eure Waffen schmieden oder den unterjochten Ausgestoßenen unter die Arme greifen könnt. Die Sklavenbefreiungen laufen immer nach Schema F – rette fünf von ihnen – ab, variiert wird höchstens mit kleinen Bonuszielen. Die Legenden eurer Waffen zu schmieden ist da schon um einiges interessanter. Jeweils zehn Missionen gibt es für Bogen, Schwert und Dolch. Beispielsweise müsst ihr auf einer Brücke verhindern, dass ein Fackelträger durchdringt und Alarm auslöst, oder ihr helft einem monströsen Graug beim Vertilgen flüchtender Orks, indem ihr sie mit euren Pfeilen am Boden festnagelt, damit er sie genüsslich einen nach dem anderen auffressen kann, bevor die Grünhäute wieder in die sichere Burg fliehen können.
Als wären diese ganzen Aufgaben noch nicht genug, gibt es in Mittelerde: Mordors Schatten noch zig Sammelobjekte zu suchen sowie Jagd- und Überlebensherausforderungen zu meistern. Da ich in den meisten Open-World-Games zu den Komplettierungsfanatikern gehöre, habe ich, in der Hoffnung, es gäbe dafür spezielle Belohnungen, natürlich sämtliche Aufgaben erledigt, Collectibles gesammelt und fleißig die Geschichten meiner Waffen vervollständigt. Enttäuscht musste ich aber feststellen, dass diese Unterfangen unbelohnt bleiben. Keine Verbesserungen der Waffen, keine neuen Kostüme oder Skins, absolut nada. Okay: Es gibt Erfahrungspunkte. Das war dann doch etwas ernüchternd und vermittelte eher den Eindruck, als hätte Monolith damit künstlich die Spielzeit gestreckt. Wenn ihr also nur die Hauptmissionen erledigt, seid ihr mit Talions Rachefeldzug in ca. 15 bis 20 Stunden durch. Legt ihr Wert auf hundertprozentiges Durchspielen, seid ihr gute 45 Stunden in Mordor unterwegs.
Schön hässliche Uruks
In grafischer Hinsicht ist Mittelerde: Mordors Schatten ein durchaus sehr schönes Spiel. Wie es in der Current-Gen so gang und gäbe ist, sieht das Game besonders bei Regen und nachts extrem toll aus, da nasse Felsen tatsächlich feucht aussehen, viele Partikeleffekte dem Auge schmeicheln und die reflektierenden Regenpfützen extrem natürlich wirken. Auch Talions Cape wirkt durch die wallenden Bewegungen sehr realistisch und stofflich. Die Charaktermodelle sind fast durch die Bank extrem detailliert und schön gestaltet, wobei Talion irgendwie aus der Reihe tanzt und mir persönlich am wenigsten gefallen hat. Dem Waldläufer sollte jetzt glatt das Herz bluten, wenn ich sage, dass die unterschiedlichen Uruks mit ihren vernarbten Fratzen, krude geschmiedeten Helmen und vielen anderen feinen Details die wohl schönsten Figuren im Spiel darstellen – nun ja: sagen wir, eher schön-hässlich.
Was die Spielwelt angeht, fällt mein Urteil eher durchwachsen aus. Die beiden großen Gebiete Mordors bieten extrem wenig Variation, sehen beide gleich grau-braun-grün aus, verfügen abseits von immer gleichen Ruinen und Ork-Bastionen über keine wirklich großartigen Landmarks, und bis auf das etwas weniger grau-braune und dafür noch grünere Nurn könnten die beiden fast als eineiige Zwillinge durchgehen. Da wäre mehr Abwechslung echt schön gewesen. Allerdings sind die Beleuchtungseffekte echt allererste Sahne.
Fazit
Mittelerde: Mordors Schatten bietet im Großen und Ganzen alles, was ein grundsolides Spiel braucht. Das Kampfsystem ist durchdacht und sorgt für spektakulär verkettete Angriffsfolgen inklusive extrem brutaler Hinrichtungen, wobei die Animationen butterweich über den Bildschirm flutschen. Nur in seltenen Fällen und bei zu großen Ork-Massen trüben leichte Framerate-Einbrüche das Gesamtbild. Die alte Vergeltungsleier ist zwar mittlerweile etwas ausgelutscht, aufgrund der cineastischen Inszenierung und den grandiosen Cutscenes ist sie aber toll umgesetzt. Für Abzüge in der B-Note sorgen nur noch die zu nichts führenden Sammelgegenstände und Waffenquests sowie die etwas variationsarme Spielwelt.
Die angeführten Mängel sind aber eher Motzerei auf höherem Niveau und keine absoluten Deal-Breaker. Mittelerde: Mordors Schatten ist für alle Tolkien-Fans bisher der EINE Ring unter den Videospielen und tröstet über bisherige Lizenzgurken hinweg. Im Lande Mordor, wo die Schatten droh’n, können alle FreundInnen von Assassin’s Creed und auch der Batman: Arkham-Serie Talion gern unter die Arme greifen.