Mortal Shell im Review: das bisher würdigste Soulslike
Bereits im Sommer (genauer gesagt am 18. August 2020) wurde Mortal Shell veröffentlicht. Das ambitionierte Erstprojekt, der sich erst 2017 formierten Entwickergang Cold Symmetry, orientiert sich offen und ungeniert an einem der ganz großen Gaming-Franchises unserer Zeit: der Dark Souls-Serie. Oha! Da wird man als eingefleischter RGP-Fan natürlich gleich hellhörig.
Der Vergleich ruft gleich einmal einige Erwartungen auf den Plan, schürt aber im selben Atemzug Zweifel, ob denn diese auch erfüllt werden können. Mortal Shell wäre nicht der erste Titel der sich – auf den Spuren von Hidetaka Miyazaki – hin zur Sonne aufmacht, und sich dabei die eigenen Flügel verbrennt. In unserem Review erfahrt ihr, was den bisher würdigsten Soulslike-Vertreter wirklich auszeichnet, wo man sich am großen Vorbild orientiert hat und an welchen Stellen es noch Verbesserungsbedarf gibt.
Ein paar Worte zu Cold Symmetry
Bevor wir nun aber alle Pros und Kontras zu Mortal Shell abwägen, würde ich gerne einige Worte zum Entwicklerstudio Cold Symmetry verlieren. Wobei: Entwicklerstudio ist hier wahrscheinlich zu hoch gegriffen, formiert sich das Team im Kern aus vier kreativen Köpfen, waschechte Triple A-Programmierer, die sich unter anderem für Titel wie Ghost of Tsushima verantwortlich zeichnen. In Kooperation mit weiteren Artists wurde nun eben 2017 das Projekt Mortal Shell aus der Taufe gehoben. Unter der Flagge dieses Spiels eint sie dabei vor allem eines: die Faszination und Liebe zu From Softwares Gaming Meilenstein Dark Souls.
Und soviel sei schon einmal vorweg gesagt: Cold Symmetry enttäuscht dabei keineswegs! Zur korrekten Einordnung: es sich hier in erster Linie um ein qualitativ wahnsinnig hochwertiges Fanprojekt. Das merkt man dem Spiel mit jedem Pixel an, ist aber absolut in Ordnung. Kreativität und Spieltiefe aufgrund einer fast schon peniblen Nachahmung nicht an das große Vorbild heran. Dennoch wird mir ein Spielgefühl vermittelt, dass ich seit Dark Souls 1 (mein erstes Souls und daher auch Soulslike) schmerzlich vermisst habe.
Soulslike: zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Soulslikes gibt es ja mittlerweile wie Sand am Meer. Egal ob ein Mega-Franchise mit Star Wars Jedi: Fallen Order, Metroidvania mit Blasphemous oder klischee behaftetes Anime-JRPG mit Code Vein. Jedes Genre hat mittlerweile eines. Wobei viele Fans und scheinbar auch Entwickler die Faszination hinter der Dark Souls-Serie einfach nur auf ihren reinen Schwierigkeitsgrad reduzieren. In vielen Soulslike-Titeln beschränkt man sich deshalb auf die Einarbeitung der mitterweile als Souls-Formel bekannten Mechaniken.
Das inkludiert fixe Rücksetzpunkte, von denen man als Spieler nach einem Tod immer wieder starten muss während alle zuvor gekillten Gegner wieder gespawnen. Das beinhaltet ebenso krass austeilende Bosse, deren Movesets man erst durch eine Vielzahl an Versuchen auswendig lernen muss, um irgendwann die Oberhand im Duell zu erlangen. Der angepriesene Schwierigkeitsgrad ergibt sich in den Soulsborne-Titeln in der Folge ja erst durch die eigene Unfähigkeit oder Ungeduld des Spielers.
Das war aber nie ein zentraler Aspekt im Gamedesign von From Software-Chef Miyazaki. Vielmehr wollt er eine Welt erschaffen, in der sich der Spieler verloren fühlt und sich deshalb mit den Items, Waffen, Orten und Gegnern ausseinandersetzt. Stück für Stück erschließt sich so einem die Welt bis man alle Mechaniken schließlich verinnerlicht hat.
In jedem anderen RPG levelst du deinen Charakter. In Dark Souls levelst du als Spieler.
Dieser einfache Umstand spielt bei den allermeisten Soulslike heutzutage keine Rolle, weswegen Nioh und Co. zwar bockschwer sind, aber nicht das unvergleichliche Spielgefühl in einem wecken, wie es eigentlich nur From Software Games können. Und jetzt eben auch Mortal Shell. Ein Umstand, von dem ich am Anfang ehrlich gesagt überrascht und danach euphorisiert war.
Fallgrimm
Aufgrund der ansgesprochenen Punkte will ich gar nicht viele weitere Worte über den Schwierigkeitsgrad von Mortal Shell verlieren. Ja, das Game ist knackig, aber in keinster Weise unfair. Fehler werden einem verziehen, insofern man diese an einer Hand abzählen kann. Erfahrung ist Trumpf. Und ich meine damit nicht die XP oder dergleichen, die gibt es nämlich in keiner Form. Vielmehr spreche ich von der Vertrautheit des Spielers mit seinen Charakteren, oder – wie im Game genannt – Shells (Hüllen). Von denen gibt es in der von Cold Symmetry geschaffenen Welt insgesamt 4.
Aber alles immer schön der Reihe nach. Wir starten ohne große Einführung irgendwo im Nirgendwo. Unsere Figur ist nackig und erinnert eher an ein außerirdisches Wesen als an einen Menschen. Viel Zeit darüber nachzudenken nehmen wir uns zumindest jetzt aber noch nicht, wir müssen uns erstmal mit der Steuerung vertraut machen. Die wird alten Souls-Veteranen gleich sehr vertraut vorkommen. Es gibt den leichten Schlag, den schweren Schlag, sowie die klassische Ausweichrolle.
Dabei ist sogar die Tastenbelegung 1:1 dieselbe. Ich bin also – zumindest mal in diesem Punkt – schnell im Game angekommen. Nach dem klassischen Tutorial-Boss geht es dann weiter in die eigentliche Spielwelt Fallgrimm. Dort stolpern wir als als Erstes über einen frischen Leichnam. Statt diesen zu looten stülpen wir uns seine Haut aber über unsere eigene und haben somit unsere erste Shell ergattert. Somit haben wir nicht nur eine schicke Rüstung zum Anziehen gefunden, wir realisieren auch die erweiterten beiden Balken am unteren linken Bildrand für die Gesundheit und die Ausdauer in rot und grün. Klassisch.
Zusammen mit dem im Tutorial erhalteten Schwert fühlen wir uns nun zumindest ein wenig gewappnet, ja für was eigentlich? Ich habe keine Ahnung was mein Ziel ist, also folge ich einfach dem Pfad der tiefer in den Wald und schließlich zu Turm von Fallgrimm führt. Dieser kristallisiert sich sogleich als das Hub des Spiels heraus. Dort können wir unsere Waffe verbessern, von einem Händler Items kaufen und die mysteriose Sester Genessa gewährt uns Einblicke in die soeben erst frisch geschlüpfte Hülle, was übesetzt soviel bedeutet wie, dass wir bei ihr neue Fähigkeiten für unseren Charakter freischalten können.
Von hier aus werden wir unsere Reisen in der Folge starten. Wohin? Das erfahren wir im Turm vom dort ansässigen uralten Gefangenen. Wir sollen in die drei Tempel im Umland von Fallgrimm eindringen und ihm die dort befindenden Grandulas (was auch immer die im Kontext des Spiels jetzt genau sein sollen) bringen. Im Austausch für diese erhalten wir weitere Spielmechaniken wie das Parieren gegnerischer Angriffe. Weil wir zu diesem Zeitpunkt absolut nichts hinterfragen, nehmen wir das Angebot klarer Weise ohne zu zögern an. Na dann los!
Parallelen und eigene Ideen
Weil mir auch hier keine Richtung vorgegeben wird mache ich mich einfach einmal auf den beschwerlichen Weg. Das Umland von Fallgrimm besteht aus einem verzweigten Gestrüpp von Wald, gepaart mit Mooren und bewohnt von humanoiden Kreaturen, die an drittklassige Henker und Hobby-S&M-Fetischisten erinnern. Diese Kombination ist für mich in den ersten Stunden eine tödliche. Zwar verfügen die Gegner nur über ein überschaubares Moveset. Die teilweise sadistische Positionierung der Feinde, überrascht mich jedoch immer wieder aufs Neue.
Nach jedem Ableben starten wir erneut in unserem Hub bei Sester Genessa. Dabei haben wir all unser gesammeltes Tar, das als Equivalent zu den Seelen in Dark Souls dient. Genauso wie im großen Vorbild haben wir jetzt auch die Möglichkeit, zu unserem Leichnam zurückzukehren und unseren Krempel wieder einzusammeln. Die im letzten Anlauf verschwendeten Heil-Items werden jedoch nicht wieder aufgefüllt. Wie etwa in Bloodborne müssen wir diese farmen oder beim hiesigen Händler für wertvollen Tar kaufen. Bei mir macht sich an der Stelle ein klein wenig das Unverständlis breit, warum bei all den übernommenen Mechaniken gerade eine der besten nicht dabei ist.
Nach einigen Stunden im Game habe ich den Dreh immer mehr raus. Das liegt zum einen daran, dass ich die Mortal Shell-eigene Mechanik des Verhärtens immer mehr verinnerliche. Zum anderen auch daran, dass sich man es zumindest am Anfang mit den immer 2, 3 gleichen Gegnertypen zu tun bekommt. Das kann zwar auf der einen Seite schnell leicht langweilig werden, auf der anderen Seite gibt das dem Spieler auch die Gelegenheit Items zu farmen oder wie in meinem Fall das erwähnte Verhärten zu meistern.
Beim Verhärten verwandelt sich unserer Hülle per Knopfdruck für kurze Zeit zu Stein. Angriffe können uns während dieser Zeit nichts anhaben, wir können uns aber im selben Zeitfenster auch nicht bewegen. Außerdem hat die Fähigkeit einen Cool-Down, sodass wir feindliche Kombos nicht permanent abblocken können. Wir müssen uns im Vorhinein genau überlegen, wann wir die Mechanik nutzen wollen – in und außerhalb des Kampfes. Einige unserer eigenen Attacken lassen sich gut mit dem Verhärten kombinieren.
Für mich bezeichnend war aber vor allem eine Szene während der Erkundung der Welt. Um zu einem Item zu gelangen lies ich mich von einem Vorsprung auf eine Säule fallen, im Gedanke von dort schon irgendwo wieder unbeschadet herunterhüpfen zu können. Als ich nach dem Einsammeln des Gegenstands jedoch bemerkte, dass es an allen Seiten einfach nur steil hinunter geht, war ich kurz baff. Ich habe eine Minute der Überlegung gebraucht um den Mut zu fassen, mich einfach mal auf Gut Glück fallen zu lassen und mich kurz vor dem Aufprall zu Stein zu verwandlen. Es hat funktioniert! Eine fantastische Methode den Spieler das gesamte Ausmaß dieser Mechanik selbst entdecken zu lassen.
Rollenspiel anders gedacht
Irgendwann kommen wir dann auch bei den 3 Tempeln an. Diese unterscheiden sich teilweise sehr deutlich voneinander, sowohl was die Genger-Varianz betrifft, als auch was das optische und Leveldesing angeht. Es gibt
- eine eisige Gruft gebaut in eine Gletscherspalte, die tief in die Eingeweide der Welt hinabreicht.
- eine, in die Erde gemeißte Schmiede, die mich persönlich an die Minen von Moria erinnert hat.
- sowie ein Archiv, das mich optisch ebenfalls an einen Ort aus Der Herr der Ringe – nämlich an den Orthanc – erinnert hat.
Irgendwo in der Gegend um das Areal herum befinden sich insgesamt 3 weitere Shells, die es zu entdecken und zu meistern gilt. Da es in Mortal Shell kein klassisches Aufleveln der Gesundheit oder Ausdauer durch das Stecken von Fähigkeitspunkten etwa in Stärke oder Geschicklichkeit gibt, stellen die Hüllen alles an Rollenspiel-Charakterisierung dar. Jeder der jetzt insgesamt 4 Hüllen besitzt unterschiedliche Werte und Fähigkeiten, die zum Großteil nicht verändert werden können.
Während euch Harros die Chance gibt, bei jedem getöteten Gegner zusätzliche Einblicke zu erlangen, besitzt etwa Tiel eine immens lange Ausdauerleiste. Eine ganze Salve an verheerenden Angriffskombos inklusive anschließendem Ausweichschritt ist so möglich. Allerdings hat dieser im Umkehrschluss nur sehr wenig Gesundheit, weshalb man bei unachtsamem Vorgehen oft das Zeitliche segnet. Eredrim stellt hingegen dessen Pendant dar, verfügt er zwar nur über geringe Ausdauer, aber über extrem viel Gesundheit, was ihn etwa ideal für das Kennenlernen der Movesets bei Bosskämpfen macht.
Zu Beginn jedes neuen Areals erhalten wir außerdem immer eine neue Waffe. Zusätzlich zum am Beginn erhaltenen Breitschwert erweitern wir unser Arsenal so mit einem schwelenden Streitkolben, einer Zweihandklinge und der Kombination aus Hammer und Meißel. Außerdem lässt sich im Laufe des Spiels ein Bazooka-ähnliches Ferngeschoss reparieren, dass euch weitere Handlungsoptionen verleiht. An dieser Stelle sei noch gesagt, dass sich das Gameplay von Mortal Shell ausschließlich am ersten Teil des Dark Souls-Franchises orientiert. Unser Charakter bewegt sich somit grundsätzlich behebiger fort, als es in aktuellen Soulslike-Titeln der Fall wäre. Blitzschnelle Bewegungen wie in Bloodborne, Dark Souls III oder gar Sekiro sind somit nicht möglich.
Mit diesem Rüstzeug machen wir uns also auf in die erwähnten Tempelanlagen. Die Reihenfolge, in der wir diese durchqueren und meistern bleibt dabei immer uns selbst überlassen. Kommen wir in einem Gebiet nicht weiter steht es uns frei, unser Glück in einem anderen Areal zu versuchen. Das ist jedoch immer mit einem aufwendigen Fußmarsch verbunden. Denn die Möglichkeit euch zwischen den einzelnen Tempeln oder dem Hub hin und her zu teleportieren gibt es (zumindest für den Großteil des Games) nicht.
Der Ablauf innerhalb der 3 Dungeons bleibt dabei immer gleich. Wir arbeiten uns vor bis zum Boss. Dieser muss anschließend bezwungen werden. Diese sind dabei gut gemacht und waren zumindest in meinem Spieldurchlauf fordernd. Die Rücksetzpunkte sind ebenfalls human gewählt, sodass ihr an den jeweiligen Gegnern auch mit verschiedenen Shells und Waffen herumexperimentieren könnt – vorausgesetzt natürlich, euch gehen die entsprechenden Items nicht aus. Nach dem Sieg müsst ihr die Tempel mit der errungenen Grandula im Gepäck wieder verlassen. Dabei wurde das Desing des Gebiets jeweils immer ein wenig verändert, sodass ihr euch wieder mit neuen Wegen und Gegnerpositionierungen herumschlagen müsst.
Einzigartige Spielerfahrungen
Bevor ich zum Fazit komme möchte ich noch einmal an den eingangs erwähten Punkt der speziellen Spielerfahrung anknüpfen. Mortal Shell schenkt einem nichts. Alle für das Game wichtigen Aspekte muss bzw. darf sich der Spieler selbst erschließen. Die Wirkung euer Items wird einem nicht durch Beschreibungen über das Inventar erklärt. Stattdessen muss ich deren Nutzen durch das Ausprobieren erst einmal selbst herausfinden. Zudem weiß man nicht genau, auf welcher Mission man sich eigentlich befindet. Was hat es mit diesen Grandulas auf sich? Was genau ist eigentlich dieser Tar? Was ist das für ein Ort, an dem ich mich gerade befinde? Was passiert, wenn ich dem Wunsch des Gefangenen nachkomme? Ich meine, es muss ja einen Grund geben, warum dieser angekettet wurde…
Ich fühle mich in der Welt von Fallgrimm verloren. Jeder noch so winzige Fortschritt fühlt sich deshalb wie ein riesiger Sprung an. Das ist meiner Meinung nach die größte Errungenschaft von Mortal Shell, die das Game auch abhebt vom großen Rest der Soulslike-Titel. Es ist ein Gefühl, dass ich zum ersten und letzten Mal mit Dark Souls 1 gehabt habe. Auch wenn der erste Teil der Reihe nicht mein absoluter Serien-Favorit ist, so war für mich damals noch alles neu und unbekannt. Die Wirkung von Menschlichkeit musste damals erst einmal herausgefunden werden. In den weiteren Soulsborne-Teilen war der Effekt dann klar, auch wenn die Gegenstände immer anders hießen.
Eine Empfehlung für jeden Souls-Fan
Würde mich heute jemand fragen, welches Soulslike er oder sie denn nach den Soulsborne-Titeln am ehesten noch spielen sollte, so wäre meine Antwort darauf Mortal Shell. Auch wenn das Game sich eher an den Anfängen des Genres orientiert und weniger an den moderneren Varianten aus den vergangenen Jahren, so fängt doch kein anderes Spiel das Urgefühl von Dark Souls derart gut ein, wie das Erstlingswerk von Cold Symmetry.
Wenn Spieler sich auf Mortal Shell einlassen und nicht gleich ein Produkt mit dem gleichen Umfang und der gleichen Tiefe wie eben der 2011 erschienene Titel von From Software erwarten, werden sie eine einprägende Erfahrung von ca. 20 bis 25 Stunden bekommen. Nur im direkten Vergleich mit dem großen Vorbild zieht das Fanprojekt den Kürzeren. Leveldesigns könnten noch besser durchdacht, Gegner noch vielfältiger sein. Hier und dort gibt es auch noch ein paar technische Unzulänglichkeiten. Beispielsweise wenn unser Charakter beim Zurückrollen an einem Kieselstein hängen bleibt oder Gegner ob unpräziser Programmierung in der Luft stehen.
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es sich bei Mortal Shell eben um das erste Soulslike-Game der Entwickler handelt. Auch From Software hat klein angefangen und wurde mit den Jahren in ihrem Segment immer besser. Man darf also gespannt sein, mit welchen Projekten uns Cold Symmetry in den nächsten Jahren überraschen wird.