Nintendo Labo Hands-On: Eine Fusion aus Software und Karton
Nintendo Labo verbindet Kartonbasteleien mit Software. In verschiedenen Sets können ab dem 20. April Häuser, Klaviere, Angeln und sogar Roboter gebaut werden, die durch die Nintendo Switch zum Leben erwachen. Das klingt sehr innovativ, denn das hat es so noch nie gegeben. Es stellt sich aber auch die Frage, ob das Basteln und Spielen auch für Erwachsene und ältere Kinder interessant ist und dauerhaft Spaß machen kann. Genau diese Frage kann ich nach meinem Besuch in Frankfurt bei Nintendo mit einem ganz klaren Jein beantworten. Spannend ist Nintendo Labo alle Mal, aber lest einfach selbst.
Kindheitserinnerungen werden wach
Vor mir liegt ein vorgestanzter Pappbogen und Flashbacks von meinen Bastelkünsten schießen durch meinen Kopf, wie die von mir selbst gebastelten Christbaumkugeln 98, die allesamt am Boden zerschellten. Weil, ja weil ich schlecht im Umgang mit Bastelbedarf bin. „Warum bin ich überhaupt hier?“, fragt mich eine heisere Stimme in meinem Kopf. Eine weitere, aber nüchternere Stimme konstatiert: „Weil du in mehr als vier Jahren Beyond Pixels, niemandem dein lang gehegtes, grausames Geheimnis anvertraut hast: DU – KANNST – NICHT – BASTELN! Sieh es doch endlich ein David!“.
Freunde, wie Mütter von mir können mit einem gezwungenen Lächeln davon berichten, wie sie krampfhaft, grauenvoll verpackte Geburtstagsgeschenke geöffnet oder von Klebstoff und brüchigen Nudeln übersäte Bilderrahmen aufgestellt haben und damit tief in die finstersten Ecken und Winkeln meiner Seele geblickt haben. Doch über diesen emotionalen Abgrund schafft es Nintendo Labo eine kleine, aber feine Kartonbrücke zu legen. Um einen Gegenstand zu erbasteln, braucht man weder Schere, noch Uhu – was mir und vielen Kindern unter sechs Jahren gehörig in die Karten spielt. Außerdem benötigt man auch nicht die Feinmotorik eines Chirurgen und tatsächlich, nach bereits zehn Minuten habe ich Leben geschaffen. Naja, oder zumindest ein kleines Auto gebaut, das fahren kann.
Mein erstes Pappauto
Durch die Anleitung auf der Switch, die gut bebildert und animiert ist, geht alles ganz einfach. Das Herausdrücken der Pappteile geht leicht von der Hand und auch ein wenig Gewalt, kann den Einzelteilen beim Herauslösen nichts anhaben. Durch die vorgefertigte Form lassen sich auch die beiden Joy-Cons problemlos in mein Labo-Auto schieben. Auf der Konsole steuere ich die beiden Joy-Cons (normalerweise ist das ja anders rum), die mit ihren Vibrationen mein Auto durch die Gegend fahren lassen. Besonders schnell ist das zwar und auch der Untergrund sollte glatt sein. Es ist aber bemerkenswert, was in zehn Minuten alles geschaffen werden kann.
Humorig ist der Einsatz des Infrarotsensors des Joy-Cons gestaltet, denn wird der Steuerungsmodus auf „Automatisch“ gestellt, verfolgt das Pappvehikel starke Lichtquellen. Dieses Feature gepaart mit einer Handytaschenlampe sieht dann so aus, als würde man mit dem kleinen Gefährten Gassi gehen. Von dem Auto sind sogar zwei Stück im Multi-Set (eines von zwei Karton-Sets) enthalten, wodurch man sich mit einer Switch und vier Joy-Cons gegenseitig umschubsen oder sogar vom Tisch stoßen kann.
Vielseitiges Multi-Set
Das Multi-Set enthält Pappbögen, mit denen ihr ein Klavier, ein Motorrad, ein Haus, eine Angel und das oben beschriebene Auto enthält. Die genaue Beschreibung zu diesen fünf Modellen findet ihr hier. Auf Anhieb ins Auge gesprungen ist mir die Angel, mit der man – nun ja – angelt. Umso tiefer es dem Meeresboden entgegen geht, umso größer und wilder werden auch die Fische, die anbeißen. Während ihr mit einer 60 cm langen Goldbrassen noch keine großen Probleme haben werdet, wird es spätestens beim Hai oder dem Schwertfisch richtig knifflig. Die beißen kaum und so muss man sich einigen Tricks bedienen. Sucht euch einen Köderfisch und zieht diesen in die Untiefen der See. Mit ein bisschen Glück und viel Geschick beim Einholen der Angel kann es dann gelingen, sogar diese Ungetüme aus dem Meer zu ziehen.
Am wenigsten beeindruckt hat mich das Motorrad, da man sich hier mit Bewegungsteuerung in die Kurven reinlegt und quasi ein Mario-Kart-Light spielt. Aber auch hier muss Nintendo für die detailgetreue Gestaltung gelobt werden. Per angezogenem Gasgriff und einem Druck auf den Motorknopf lässt sich das Motorrad anstarten.
Von musikalischen Experimenten und Fischen
Ich bin zwar nicht fähig richtig Klavier zu spielen, das Labo-Klavier hat mir aber trotzdem Spaß gemacht. Werden die Kartonklaviertasten nach unten gedrückt, hebt sich im inneren des Klaviers ein Reflektor, was die Infrarotkamera des Joy-Cons erkennt und einen Ton abspielt. Durch Register, die man in das Klavier steckt, verändert sich der Sound eindrucksvoll. So ertönt anstatt eines Klaviers Katzenjammer, ein Chor oder ein schreiender Vorgesetzter. So wird sogar mein „Alle meine Entchen“ zum Erlebnis. Außerdem kann auch noch der Ton der Tasten bearbeitet, bzw. moduliert werden. Nutzt man das nicht, bleibt ein gespielter Ton, bei gehaltener Taste immer gleich. Schneidet man aus Papier z.B. eine Sinuswelle aus, dann schwingt der anhaltende Ton. Natürlich kann jede beliebige Form ausgeschnitten und in das Klavier gesteckt werden. Mit dieser Technik können aber auch Fische ausgeschnitten werden, die dann in ein 3D-Modell umgewandelt werden und mit verschiedenen Farben und Designs bemalt werden können. Das ist ein besonders schöner Überraschungseffekt, wenn dann der eigene Fisch anbeißt.
Das Tamagotchi-Haus
Das letzte Modell des Multi-Sets ist das Haus mit einem virtuellen Bewohner darin. Das besitzt drei Öffnungen und es gibt eine Karton-Kurbel, einen -Bumper und eine Art Pappschlüssel. Je nachdem wo diese Gegenstände ins Haus gesteckt werden, startet sich ein Minispiel (insgesamt gibt es neun Spiele). Das Loren-Rennen, Bowling und Seilspringen sind nette kleine Spielchen, dürften aber nach spätestens 30 Minuten zu wenig Abwechslung bieten. Immerhin könnt ihr durch Spielbelohnungen das kleine Tierchen im Haus füttern und auch das Aussehen verändern.
Den eigenen Mech steuern
Bilder sagen mehr als 1000 Worte, besonders Bewegtbilder. Schaut euch deshalb unbedingt den oben verlinkten Trailer zum Robo-Set an. Alles dort Gezeigte funktioniert auch tatsächlich sehr gut. Ich durfte bei dem Anspielevent zwar nur einen fünfminütigen Zerstörungsmodus ausprobieren, aber schon allein das macht Spaß. Das Zusammenspiel aus Rückenteil, Roboterschuhen und -Armen erzeugt tatsächlich ein bisschen das Gefühl, dass man gerade einen großen Mech steuert. Im fertigen Spiel soll es dann mehrere Levels geben, wo ihr euren Mech aufleveln und ihm neue Fähigkeiten verpassen könnt. In meiner Zerstörungsorgie konnte ich spürbar erkennen, dass mir der Roboter ein besseres Gefühl, als bei Kinect oder teilweise vielleicht sogar als PSVR vermittelt, weil die Gegengewichte mir ein haptisches Feedback zurückgeben, was die anderen beiden Technologien nicht können. Das Robo-Set bietet durch das Moveset (Gehen, Fliegen, Fahren) das Potenzial sehr viel Spaß zu machen. Ob es aber genügend Tiefgang erlaubt, kann ich zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht sagen. Dafür war die Zeit mit dem Mech, dann doch zu begrenzt.
In der Werkstatt
Für Mehr Tiefgang wird garantiert die Toy-Con-Werkstatt (ein Modus, der bei beiden Sets enthalten ist) sorgen. Diese wird freigeschaltet, wenn ihr spezielle Ziele in den verschiedenen Spielen erreicht und damit bewiesen habt, dass ihr über genügend Erfahrung mit Nintendo Labo verfügt. Dann erhaltet ihr die Möglichkeit, ganz eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen:
Die Toy-Con-Werkstatt folgt also dem Prinzip, Eingabe-Ausgabe, bzw. Aktion-Reaktion. Als Beispiel nehmen wir noch einmal das Toy-Con-Auto ins Visier. Dieses wird normalerweise von der Switch per Touchfunktion gesteuert. Es ist aber auch möglich die Steuerung des Autos, auf die Motorradsteuerung umzumünzen. Ist der Gasgriff angezogen, sollen beide Joy-Cons des Autos vibrieren (das Auto fährt gerade aus). Wird das Motorrad nach links oder rechts gekippt, soll auch nur der jeweilige linke oder rechte Joy-Con des Autos vibrieren (das Auto fährt eine Kurve). Mit gerade einmal fünf Blöcken kann diese Anwendung in der Werkstatt umgesetzt werden. Viel Potenzial verschenkt Nintendo aber dadurch, dass es keine Plattform dafür gibt. Weder können die Eigenkreationen exportiert, noch diese online mit Freunden geteilt werden.
Lego Mindstorms trifft auf Karton
Das gesamte System erinnert ein wenig an Lego Mindstorms oder die für Kinder und Jugendliche gestaltete, visuelle Programmiersprache Scratch. Das System ist leicht zu verstehen, bietet aber viele Möglichkeiten. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Das Programmieren hat nur Einfluss auf das Verhalten der Joy-Cons (Gyro-Sensor, Kamera, Vibration etc.) bzw. der Pappmodelle. Was auf der Switch dargestellt wird kann nur rudimentär verändert werden. Im Trailer gibt es zwar die Tischtennis-Szene, aber der „Ball“ der hier durchs Bild fliegt, ist in Wahrheit ein Rechteck und wirkt nur durch die Kartonvorlage rund. Es muss also auch hier viel gebastelt werden. Für mich ist die Toy-Con-Werkstatt das interessanteste Feature an Nintendo Labo, weil hier enorm viel Potenzial und Kreativität ausgeschöpft werden können und sie auch etwas für die Langzeitmotivation bietet, wenn die Minispiele auf Dauer doch einmal fad werden sollten.
Regt die Kreativität an
Ich habe jedes Toy-Con-Modell mindestens 30 Minuten getestet und jede einzelne Session hat mir Spaß gemacht. Das eine oder andere dürfte sich aber trotzdem als One Trick Pony entpuppen. Hat man z.B. beim Haus einmal jedes Minispiel gesehen, dann gibt es nicht mehr all zu viel zu tun und zu erleben. Allerdings erhält man mit dem Multi-Set gleich fünf Modelle und abgesehen vom Auto, darf man pro Objekt mit mindestens einer Stunde Bastelzeit rechnen. Das gehört selbstverständlich genau so zum Spielen und macht ebenfalls Spaß. Gerade Kinder dürften große Freude daran finden, die Modelle nach dem Zusammenbauen noch zu verzieren und anzumalen (ich gestehe, ich hatte auch viel Spaß dabei).
Als letzten Punkt möchte ich kurz noch auf die Haltbarkeit des Kartons eingehen. Der wirkt stabil und die einzelnen Teile sind oftmals so konzipiert, dass es wenig Sollbruchstellen gibt. Karton bleibt aber trotzdem Karton und man ist gut beraten sich die Papierbögen zu behalten und gegebenenfalls auf Karton nachzuzeichnen, nachzufalten und auszuschneiden.
Ninteno Labo Fazit
Nach meinem ersten Eindruck bevorzuge ich das Multi-Set, weil es mehr Abwechslung bietet und auch in Kombination mit der Toy-Con-Werkstatt mehr Möglichkeiten bietet. Das Robo-Set hat sehr spannende Ansätze und muss noch beweisen, ob es auch auf Dauer Spaß macht einen Mech auf dem Bildschirm zu steuern.
Alles in allem erinnert mich Nintendo Labo stark an Nintendo Land auf der Wii U. Auch dort gab es sehr spaßige Minispiele, mit frischen Ansätzen, die aber ein wenig die Langzeitmotivation vermissen ließen. Nintendo Labo paart dieses Konzept jedoch mit dem Bastelspaß und dem Drang neue Dinge zu entdecken. Ob dieses Vorhaben tatsächlich gelingt, werden wir erst am 20. April 2018 wissen. Dann nämlich erscheint das Robo-Set für ca. 80 Euro und das Multi-Set für ca. 70 Euro im Handel.