Senua’s Saga: Hellblde 2 im Test – Immersiv und Brachial

von David Kolb-Zgaga 25.05.2024

Senua’s Saga: Hellblde 2 ist eine audiovisueller Trip der Extraklasse ohne spielerischen Tiefgang.

Gleich vorne weg: inszenatorisch ist Senua’s Saga: Hellblde 2 auf der Bild- und der Tonebene das mit Abstand Beste was ich dieses Jahr gespielt habe. Ich bin super empfänglich für diese lineare, cineastische Art von Spielen und für mich bietet das Spiel eine Erfahrung, die mich umgehauen hat. Es werden aber auch viele Spieler:innen enttäuscht oder abgestoßen sein, doch dazu später mehr.

Schiffsunglück vor Island

Zu Beginn des Spiel gibt es eine kurze Zusammenfassung des ersten Teils, zeigt aber natürlich nicht zur Gänze, die Opfer und Überwindungen, die Senua bereits durchlebt hat. Auch wenn der erste Teil in meinen Augen ebenfalls sehr lohnenswert ist, reicht ein kurzes Recap Video (das von Ninja Theory ist doch etwas dürftig) um mit Senua’s Saga: Hellblde 2 loslegen zu können.

Nach all den Ereignissen des ersten Teils möchte Senua Rache an den Nordmännern, den Björg nehmen, die ihr Heimatdorf überfielen. Sie lässt sich absichtlich von den Sklavenhändlern fangen, um diese in deren Heimat bekämpfen zu können. Senua überquert so das Meer, doch kurz vor Ankunft kentert das Boot und sie findet sich auf Island wieder, wo das Spiel dann so richtig losgeht. Das Spiel ist so Story getrieben, dass ich möglichst wenig konkretes verraten werde.

Darkness

Zu Beginn bewegt sich das Spiel in Richtung klassischer Rachestory und durch die brutale Gewaltinszenierung und die dichte, unangenehme Grundatmosphäre habe ich mich innerlich schon auf etwas Ähnliches wie The Last of Us 2 eingestellt. Es geht hier aber nicht um eine nicht endenwollende Spirale aus Gewalt. Nach einem Drittel nimmt die Handlung eine Wendung und es geht nicht mehr nur um Senua. Im Gegensatz zum ersten Teil gibt es hier drei Nebencharaktere, die mit Senua immer wieder gemeinsame Episoden erleben. Würde man die Geschichte und ihre Nebenfiguren komplett durch gespoilert zusammenfassen, würde man schnell merken, dass die reine Story nicht Oscar reif geschrieben wurde. Dafür bleibt sie dann doch etwas zu oberflächlich.

Ich schätze jedoch die metaphernartigen Wesen, die sich darum drehen wie Menschen zu Monstern wurden. Es geht sehr viel um Leid und die menschliche Psyche. Im Spiel kommt einmal der Satz vor: „Darkness on the outside, creates darkness on the inside.“, dass diese Thematiken gut zusammenfasst. Das Ende kommt rasch, spiegelt jedoch auch ein paar sehr aktuelle Themen wider:

„ Make them hate, make them punish the weak. Make them fear and the will do anything.”

Hier findet ihr außerderm noch den Launch Trailer.

Dichte, düstere Atmosphäre

Es kommt im Spiel aber auch nicht so stark darauf an was passiert, sondern wie es passiert. Senua kämpft auch weiterhin mit ihrer Vergangenheit und durch ihre Psychose hört sie nicht nur mehrere weibliche Stimmen, sondern auch die vorwurfsvolle Stimme ihres Vaters. Und dann befinden wir uns auch schon inmitten der Inszenierung, denn das Sounddesign ist umwerfend gut und in dieser Kategorie locker Spiel des Jahres.

Bitte folgt dem Hinweis von Ninja Theory, denn Senua’s Saga: Hellblde 2 will unbedingt mit einem guten Headset gespielt werden. Dann kriechen Senuas Psychose Stimmen in euren Kopf und beschallen euch von links und rechts, ja drehen sich manchmal sogar 360 Grad um euch herum. Es trägt einfach wahnsinnig zur Atmosphäre bei, wenn ihr sogar eigentlich triviale Dinge tut und die Stimmen mal hysterisch, mal selbstzweifelnd, mal einfühlsam alles hinterfragen und kommentieren was ihr, also Senua so tut. Hier zeigt sich aber, dass auch der zweite Teil nicht klassisch auf Massenmarkt gedrillt ist, denn das kann auf Dauer anstrengend sein und besonders durch die düsteren Thematiken des Spiels musste ich Verschnaufpausen einlegen. In der Theorie ist das Spiel an einem Tag (ca. 6-8 Stunden lang) durchspielbar, aber das kann ich zumindest so nicht empfehlen.

Kriegerin

Die deutsche Schauspielerin Melina Jürgens wurde auch für Teil zwei wieder per Motion Capturing aufgenommen. Auch hier kann ich nur schwärmen, was Ninja Theory bzw. die Schauspielerin selbst geschafft haben. Jede noch so kleine Mimik ist erkennbar, jede emotionale Regung. Mit all den Kamerafahrten, die alle Ingame sind und dem nicht vorhanden sein irgendwelcher Hub-Elemente ist das Gesamtbild beeindruckend cineastisch.

Um den Bogen zurück zu spannen, auch die vielen Stimmen sind von Jürgens grandios gut eingesprochen. On Top kommt noch ein sehr schön gewählter Soundtrack mit Stücken, die gut zur jeweiligen Situation passen. Besonders mitgerissen hat mich die Kampfmusik, die sich martialisch, bedrohlich aber auch irgendwie anpeitschend anfühlt und mich an Tribal Metal erinnert. Daran angelehnt könnt ihr euch den Reveal Trailer ansehen, denn kurz vor der Minutenmarke setzt dieses Stück ein.

Das echte Island

Aber nicht nur Senua und die anderen Charaktere sehen sehr realistisch aus. Ninja Theory hat per Photogrammetrie-Vermessung das echte Island vermessen und so spektakuläre Landschaften gebaut. Die Unreal Engine 5 lässt ihr Muskeln auf der Xbox spielen und ein schnöder Steinweg wird zur hoch aufgelösten, wunderschön beleuchteten Sehenswürdigkeit. Und hab ich schon das Wasser erwähnt? Mein Gott!  Man spricht ja oft von Grafikblender, aber in diesem Fall lasse ich meine ungeschützten Augen in diese metaphorische Grafiksonne blicken.

Ich wurde mit dem Wassertempel von Ocarina of Time und noch viel mehr mit dem aus dem Giftwasser auftauchendem Dämmerwald-Tempel grafisch sozialisiert.

25 Jahre später sehe ich wie in Senua’s Saga: Hellblde 2 ein kleiner See abrinnt und ein Geheimnis frei gibt. Das war das Beeindruckendste, das ich jemals auf einer Konsole gesehen habe.

Stick nach vorne

Nach der Lobhudelei müssen wir nun über Erwatungshaltung sprechen. Dazu muss ich kurz ausholen. Ich bin großer Fan von Walking Simulatoren und Spielen wie Firewatch. Auch die Telltale Walking Dead Spiele haben für immer einen Platz in meinem Gamerherzen. Mir wird bei Spielen mit wenig Gameplay immer noch zu schnell geschossen, dass das ja keine richtigen Spiele seien und die Machart dafür kritisiert wird. Meine Ansicht dazu ist, dass sich das zumindest teilweise so anfühlt, also würde man Rennspiele dafür kritisieren, dass man nur Auto fahren kann oder Rogue Lites, dass nach dem Ableben immer wieder ein neuer Run gestartet werden muss. Man kann diese Genres mögen oder eben nicht. Und wer Walking Simulatoren nicht mag, sollte um Senua’s Saga: Hellblde 2 einen großen Bogen machen. Die ersten 30 Minuten sind zwar packend und dramatisch gestaltet, aber ihr werdet nicht mehr machen, als den Stick eures Gamepads nach vorne zu drücken.

Kriegerin

Um mehr zu bieten als durch die Landschaft zu gehen, gibt es wie im Vorgänger Kämpfe und Rätsel und beides ist nicht sonderlich tief gehend. Für mich sind die Kämpfe simpel, aber befriedigend. Ich mag Perfect Parry Systeme und durch den adaptiven Schwierigkeitsgrad geht alles flott von der Hand. Wenn ich schlecht blocke, wird das Spiel verzeihlicher, bin ich gerade im Flow wird es härter und die Timings müssen besser sitzen. Die Kämpfe hier gefallen mir besser, denn es existieren nur noch eins gegen eins Duelle. Im Vorgänger ist man noch mehreren Feinden gleichzeitig gegenüber gestanden und Gegner konnten Senua in den Rücken fallen. Jetzt bekämpft ihr nur noch einen Feind und mit vier verschiedenen Gegnertypen gibt es ein bisschen Abwechslung (leicht, schwer, Schild und Feuerspucker). Durch geskriptete Sequenzen während der Gefechte (z.B. mit Senuas neuen Begleiter:innen) ergeben sich so spektakuläre Kampfchoreografien, die sehr hart und blutig sind.

Runterfahren

Weniger blutig und adrenaligeladen sind die Rätsel und wer den Vorgänger gespielt hat, wird sich an das überstrapazierte Runenrätsel erinnern können. Ihr musstet Senua perspektivisch in der Welt so ausrichten, sodass Äste und andere Dinge keltische Runen darstellen. Die erste gute Nachricht, ihr müsst das nicht mehr Pixcelperfect erledigen. Der Nachfolger lässt milde walten und greift euch ein bisschen unter die Arme, wenn ihr die Runen nicht perfekt getroffen habt. Die zweite gute Nachricht ist, dass es noch eine zweite Art von Rätsel gibt. Hier schweben Kugeln in der Luft, die wenn sie fokussiert werden, die Umgebung verändern. Das wirkt etwas Trial and Error, aber durch kleine Fäden, könnt ihr in etwa erkennen, was nun verschwindet und wo z.B. neue Felsen hinzugefügt werden. Beide Rätseltypen sind nicht wahnsinnig komplex und überhaupt besteht das Spiel aus Kämpfen, Rätseln, umherlaufen. Klingt am Blatt Papier nicht besonders spannend.

Die Mischung macht‘s

Stimmt, aber Ninja Theory schaffen es in sehr vielen Abschnitten ein sehr gutes Arrangement aus walking, Zwischensequenzen, Kampf und Rätsel herzustellen. Auf Action folgen nachdenkklichere, langsame Szenen und umgekehrt, was ein schönes Potpourri ergibt. Nur nach dem ersten Drittel gab es für mich mal eine kurze Phase mit Pacing Problemen. Da hat Senua nicht wirklich ein Ziel vor Augen und die Story meandert kurzzeitig dahin. Hier kann ich nur empfehlen, haltet durch, die nächsten Highlights kommen bald.

Senua’s Saga: Hellblde 2 Fazit

Ich hoffe ihr habt bis zu diesem Zeitpunkt schon gemerkt, dass Senua’s Saga: Hellblde 2 meinen Geschmack trifft. Für mich ist es eine lang ersehnte Abwechslung im AAA-Bereicht endlich mal keine Open World zu haben. Das Ganze Spiel ist strikt linear und schlauchig. Darum sieht es auch so gut aus und kann sich auf das Wesentliche konzentrieren und das schätze ich wirklich sehr. Es gibt zwar durch die Lehrensäulen und Steingesichter  zwei verschiedene Sammelgegenstände, aber wenn man möchte kann ich die gut und gerne auch ignorieren. Ich fühle mich nicht dazu genötigt zu Erkunden, denn es gibt kaum etwas und im Gegensatz zum ersten Teil schalten dieses Mal die Sammelgegenstände kein zusätzliches Ende frei. Die Story bleibt gleich und das finde ich absolut lobenswert. Wie oft habe ich mich in den letzten Jahren dabei ertappt, halb in der Open World rumtorkelnd zu suchen, halb am Smartphone einen Walkthrough offen nur für eine fünf minütige Zwischensequenz am Ende. Oder noch schlimmer (aber Lebenszeit sparender), ich hab mir das in der Vergangenheit einfach auf You Tube angesehen. Beides ist für mich mittlerweile unbefriedigend geworden und ich bin genau der Spielertyp, für den solche Entscheidungen ein Segen sind. Es ist natürlich auch ok, wenn ihr das genaue Gegenteil von mir seid, dann wird auch Senua’s Saga: Hellblde 2 wahrscheinlich ein bisschen weniger gefallen als mir.

Trotzdem solltet ihr dem Game eine Chance geben, denn ihr bekommt hier wie eingangserwähnt einen audiovisuellen Trip, der einzigartig ist und euch eine sehr konzentrierte, coole Erfahrung bietet. Ihr werdet schnell merken, ob das Spielerlebnis für euch etwas ist. Es gibt zwar keine Demo, aber für gerade einmal zehn Euro Gamepass könnt ihr das Spiel locker durchspielen und dann ist auch der Preisleistungs-Diskussion genüge getan. Für mich ist Senua’s Saga: Hellblde 2 in einigen Kategorien schon Spiel des Jahres und deshalb ein Must Play Titel.

Wertung: 8.7 Pixel

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