Soloabenteuer Cthulhu – Allein gegen die Dunkelheit im Test
Auch Rollenspielrunden haben es im Jahr der Pandemie nicht leicht. Konnte man im Sommer zumindest noch mit gebührendem Abstand im Garten sitzen und bei Gegrilltem Goblins verkloppen, bleibt im trüben Spätherbst abermals nur die digitale Zusammenkunft oder ein Totalausfall. Unter diesen Umständen scheinen Soloabenteuer immer verlockender. Besonders, wenn es sich dabei um neuaufgelegte Klassiker handelt, die InvestigatorInnen in weltumspannenden Abenteuern immer tiefer in die kosmischen Schrecken des lovecraftschen Mythos führen…
Aus dem Archiv
Das von Pegasus veröffentlichte Cthulhu – Allein gegen die Dunkelheit holt das Abenteuer Alone Against the Dark aus dem Jahre 1985 mit Regelanpassungen in die aktuelle Edition des Pen&Paper-Systems. Darin übernehmen wir die Rolle von Professor Grünwald, der einem in Europa gestrandeten Freund zu Hilfe eilt, und dabei selbst in unvorhergesehene Gefahr gerät.
Du entscheidest!
Wie das Wort „Soloabenteuer“ auf der Titelseite bereits verrät, tritt man hier als einzelne Person dunklen Mächten entgegen. Ähnlich des Prinzips Choose-Your-Own-Adventure springt man im Laufe der interaktiven Erzählung zwischen beinahe 600 Textabschnitten hin und her, und folgt dabei den Anweisungen des Buchs. Das kann man sich in etwa so vorstellen: „Du bist in einer Bibliothek. Möchtest du zu Abteilung A oder Abteilung B gehen? Für A lies weiter bei Abschnitt xx, für B lies weiter bei Abschnitt yy.“
Dabei bringt der Autor Matthew J. Costello mithilfe von Schauplatztabellen geschickt Freiheit in dieses starre System. Befindet man sich z.B. in einer Stadt, kann man sich in dieser uneingeschränkt bewegen. Eine Übersichtstabelle gibt Auskunft darüber, welche Schauplätze in dem aktuellen Gebiet besucht werden können und welcher Textabschnitt zum gewünschten Ort führt. Das habe ich so noch in keinem anderen Soloabenteuer gesehen.
Mich hat außerdem beeindruckt, wie verwoben und durchdacht die Abschnitte sind. Häufig entdeckt man beim zweiten oder dritten Besuch eines Orts völlig Neues, weil es so viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt.
Spielprinzip Buchhaltung
Das grundsätzlich simple Spielprinzip wird in Allein gegen die Dunkelheit mit dem Rollenspielsystem der siebten Edition von Cthulhu unterfüttert: Mit einem vorgefertigten Charakter durchläuft man das Abenteuer und stößt des Öfteren auf Würfelproben. Grundkenntnisse des Spielsystems sowie ein nachschlagbereites Grundregelwerk werden vorausgesetzt.
Zusätzlich bürdet einem Allein gegen die Dunkelheit eine Menge Buchhaltung auf: Zeit spielt in dem Abenteuer eine sehr wichtige Rolle und sollte daher penibel protokolliert werden. InvestigatorInnen müssen einen bestimmten Teil des Tages essen und schlafen. Weiters kosten der Besuch jedes Ortes, jedes Gespräch, jede Recherche und jede Reise Zeit, die auf einem Kalender markiert wird.
Durch diese Zusatzregeln verbringt man leider den Großteil des Spiels damit, Stunden zu zählen und die nächsten Schritte zu planen, um ja keine kostbare Zeit zu verschwenden. Als ich mitten im Abenteuer Charakterbogen, Kalender, Ortsübersichtstabellen, Regelbücher und meinen eigenen Notizzettel so vor mir ausgebreitet hatte, kam ich mir stellenweise vor, als würde ich einer komplexen Anleitung folgen, die zu viele Zusatzdokumente benötigt, anstatt eine interaktive Erzählung zu genießen.
Nichts für Anfänger!
Wie ich selbst rasch herausfand, handelt es sich bei Allein gegen die Dunkelheit keineswegs um ein Einstiegsabenteuer. Denn zu den rigorosen Regeln gesellt sich ein gnadenloser Schwierigkeitsgrad. An diesem Punkt merkt man dem Inhalt sein Alter am ehesten an. Schließlich war der Bodycount in Pen&Paper-Abenteuern in den 80ern im Durchschnitt deutlich höher als heute. Und bis auf notwendige Regelanpassungen wurde am ursprünglichen Werk für diese Neuauflage nichts geändert. Es ist also kein Zufall, dass der Erzählung gleich vier vorgefertigte Charaktere beiliegen. Der Autor geht in der Einleitung soweit, das Abenteuer als Erfolg zu verbuchen, wenn weniger als 13 InvestigatorInnen dabei umkommen!
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Herausforderungen. Allerdings sind in Allein gegen die Dunkelheit Leben und Tod oft nur durch einen Würfelwurf voneinander getrennt. Danach muss man mit einem neuen Charakter quasi von vorne beginnen und erst wieder an dieselbe Stelle gelangen, ehe man das Abenteuer fortsetzen kann.
So hängt der ganze Handlungsfortschritt stark von einzelnen Würfelproben oder des öfteren auch schierem Zufall ab (z.B.: Welchen von drei Taxifahrern wähle ich). Dadurch blieb ich in meinem ersten Durchlauf an einem Punkt komplett stecken und entdeckte erst durch großzügigere Erkundungen im zweiten Anlauf essenzielle Hinweise. Genau von diesen Erkundungen wird man allerdings durch das strenge Zeitkorsett des Abenteuers abgeschreckt. Und nicht nur das: Selbst die Einleitung rät explizit davon ab, Orte ohne triftigen Grund aufzusuchen, schließlich könnte ja überall ein tödlicher Schrecken lauern. Hier hätte ich mir für die Neuauflage eine tiefgreifende Umarbeitung der Zusatzregeln gewünscht, damit diese den Spielfortschritt nicht eklatant erschweren.
Bildarmut gegen Spoiler
Die Präsentation von Allein gegen die Dunkelheit ist recht bieder ausgefallen. Natürlich weiß ich, dass auf Illustrationen fast vollständig verzichtet wurde, um nichts von der Handlung vorwegzunehmen, aber karg wirkt der Band durch diese Entscheidung dennoch. Das Layout hingegen überzeugt durch seine Übersichtlichkeit: Jeder Seitenrand zeigt die Zahlen der hier anzutreffenden Abschnitte, wodurch man diese schnell findet. Angenehm fand ich auch, dass jeder Textabschnitt nicht nur verlangte Charakterfertigkeiten und weiterführende Abschnitte hervorhebt, sondern auch die Textabschnitte anführt, die zum aktuellen Absatz geführt haben können. Auch wenn einem das viele Blättern dadurch nicht erspart bleibt, gestaltet es sich doch ein wenig komfortabler.
Fazit: Ergrautes Grauen
Allein gegen die Dunkelheit kann sein Alter trotz neuem Gewand nicht verbergen. Das Abenteuer entpuppt sich als sperriges und bockschweres Kind der 80er, welches weitreichendere Regelanpassungen gebraucht hätte, um seiner spannenden Erzählung nicht selbst im Weg zu stehen.
Ich bleibe nach diesem Ausflug in die Welt der Soloabenteuer vorerst doch lieber bei virtuellen Spielerunden und träume von einer Zukunft, in der wir wieder gemeinsam um einen Tisch versammelt sind.