The Last Guardian-Test: Eine emotionale Reise

von Stefan Hohenwarter 12.12.2016

Zehn Jahre musste ich warten, ehe ich meinen The Last Guardian Test in Angriff nehmen konnte. Als dann endlich ein Paket von Sony bei mir ankam, konnte ich es kaum glauben: Als ich das Paket öffnete, erblickte ich nicht einfach eine schnöde Promoversion des Spiels, sondern ein liebevoll gestaltetes The Last Guardian Press Kit. Nach dem Freudenexkurs nun zurück zu meinem The Last Guardian Test.

Vertrauen muss man sich verdienen

Das Spiel startet in einer Höhle, in der ein gigantisches greifenartiges Wesen auf dem Boden liegt. In der Rolle eines Jungen erkunde ich den Ort und nähere mich ihm. Es scheint ängstlich zu sein und hat offenbar etwas Schlimmes erlebt: Als wäre es noch nicht genug, mit einer massiven Kette in der Höhle festgehalten zu werden, stecken zwei gigantische Speere im Körper des Wesens. Ich möchte ihm helfen, doch scheint es mir nicht zu vertrauen; es rechnet wohl viel mehr damit, dass ich ihm weitere Schmerzen zufügen werde, und so schüttelt es mich ab. Um das zu ändern, durchsuche ich die Höhle, um etwas zu finden, mit dem ich etwas Vertrauen aufbauen kann.

Glücklicherweise finde ich ein paar seltsam leuchtende Fässer, die ich zum verletzten Tier schaffe. Ich gehe in sichere Entfernung, und siehe da: Das Wesen verschlingt das erste Fass, als hätte es seit Jahrzehnten nichts gefressen. Ist das Eis gebrochen? Nicht ganz, aber zumindest kann ich jetzt einen der schmerzenden Speere entfernen. Als ich mich an den zweiten mache, wirft mich das Tier erneut ab, und so suche ich weiter nach Fässern, die ich ihm kredenzen kann. Nach und nach merkt das Wesen, dass ich es nicht verletzen, sondern ihm helfen möchte. Als ich noch die gigantische Kette von seinem Hals löse, kann unsere Reise beginnen. Deren Ziel ist nicht klar, offensichtlich ist nur: Wir werden sie nur gemeinsam antreten und beenden können.


Auf Trico gekommen

Das Wesen wird vom Protagonisten als Trico bezeichnet, womit es einen Namen hat, doch was ist Trico überhaupt? Ein Greif? Ein Hund? Oder doch eine Katze? Ich wage zu behaupten, es ist eine Mischung aus allem: Es sieht wie ein Greif aus, während es sich oft wie ein Hund oder eine Katze verhält. So kommt es schon einmal vor, dass man auf Tricos Rücken hängend zu einer erhöhten Position springen will, als er sich plötzlich dazu entscheidet, sich voller Freude in einem kleinen See zu wälzen.

Last Guardian Test Trico nimmt ein Bad

Quelle: Sony/Team Ico (eigenes Foto).

Auch wenn man in der einen oder anderen Szene lieber vorankommen möchte, kann man nicht anders, als Trico gewähren zu lassen: zum Beispiel wenn er mal mit dem Futter zu spielen beginnt, statt es einfach zu fressen, seinen Kopf in eine viel zu kleine Öffnung steckt oder er einfach nur gestreichelt werden will.

Last Guardian Test trico cuteness overload

Quelle: Sony/Team Ico (eigenes Foto).

Vertrauen bis in den Tod

Die Reise schweißt die beiden zusammen, und das Band der Freundschaft wird stärker. Das ist auch nötig, denn das Abenteuer nimmt an Intensität und Schwierigkeitsgrad zu. Während am Anfang noch alles ziemlich entschleunigt vonstattengeht und man genügend Zeit hat, die Räume zu erkunden, wird es mit Fortschreiten der Geschichte etwas stressiger. So tauchen beispielsweise Feinde auf, die den Protagonisten mit magischen Formeln am Bewegen hindern und Trico mit Speeren attackieren. Zwar sind diese beweglichen Steinwächter keine große Hürde für meinen treuen Begleiter, doch muss ich ihn nach jedem Angriff mit Streicheleinheiten am Bauch wieder beruhigen. Sobald Trico sieht, dass ich in Gefahr bin, setzt er alles daran, mir zur Hilfe zu eilen: sei es, wenn ich abzustürzen drohe, sei es, wenn ich den Steinwächtern in die Hände falle. Viel haben wir investiert, um dieses Band der Freundschaft zu knüpfen – und es hat sich gelohnt, denn Trico rettet mir im Spielverlauf nicht nur einmal das Leben.

Kleine Mankos verhindern die perfekte Wertung

Nachdem das Spiel zehn Jahre in der Entwicklung gewesen war, hatte ich Angst, ein ähnliches Debakel wie Duke Nukem Forever vorzufinden. Im Gegensatz zu Dukes bislang letztem Abenteuer hat es Team Ico bei The Last Guardian allerdings geschafft, selbst nach so langer Produktionszeit ein ansprechendes Spiel zu produzieren, das von mir beinahe eine perfekte Wertung bekommen hätte. Einen Wermutstropfen gibt es nämlich: die Steuerung. Schon in der Höhle, in der das Abenteuer beginnt, fragte ich mich, weshalb der Junge ständig hinfällt. Das ist am Anfang noch zu verkraften, aber wenn es kritischer wird und man nur wenig Zeit hat, um Entscheidungen zu treffen, wird eine ungenaue Steuerung zum Verhängnis. Vor allem, wenn ihr eurem nicht steuerbaren Kumpanen im späteren Spielverlauf Befehle geben wollt, geht das nicht immer problemlos vonstatten.

The Last Guardian Test: Das Fazit

Ich muss gestehen, ich habe weder ICO noch Shadow of the Colossos gespielt, weshalb sich auch meine Vorfreude auf The Last Guardian in Grenzen gehalten hat. Ich habe mir zwar einige Trailer angeschaut, mich aber gefragt, warum die Leute so lang voller Hingabe auf das Spiel gewartet und bei jeder weiteren Releaseverschiebung zu schnaufen begonnen haben. Ohne große Erwartungen habe ich das Spiel ins Laufwerk gelegt und mich zu Beginn gefragt: Wer bin ich, warum bin ich in dieser Höhle, und was ist dieses angekettete, mit Speeren durchbohrte Wesen? Doch schon nach wenigen Minuten wollte ich den treuen Begleiter nicht mehr missen und hatte Angst davor, mit den Tränen kämpfen zu müssen, falls ihm etwas zustoßen sollte.

Team Icos Spiel beginnt langsam und entschleunigt. Genau so gestaltet sich auch die Beziehung der beiden Protagonisten. Während am Anfang noch Skepsis vorherrscht, bildet sich schon bald ein unzertrennliches Band der Freundschaft, das mit Spielfortdauer mehrmals auf die Probe gestellt wird. Jeder Abschnitt verlangt von den SpielerInnen, das bereits Gelernte perfekt umzusetzen und zudem in immer kürzeren Zeitabschnitten die Lösungen für Rätsel zu finden. Es ist eine Reise, die auf vielen Ebenen an Intensität zunimmt.

Auch wenn man sich hie und da etwas mehr Freiraum wünscht, muss man auch klar sagen, dass es nicht möglich wäre, diese intensive Beziehungsgeschichte zwischen zwei so ungleichen Lebewesen zu erzählen, wenn man nicht darauf zurückgreifen würde. Ähnlich wie Limbo kommt auch The Last Guardian ohne großes Intro, ohne Dialoge und ohne erklärende Hinweistafeln oder Ähnliches aus, um die Geschichte zu erzählen und zugleich zahlreiche Emotionen in den SpielerInnen zu wecken. Einfach nur beeindruckend.

Wenn ein Spiel es schafft, Wut, Angst und Freude der SpielerInnen zu wecken, dann hat es einfach alles richtig gemacht. Es sind diese emotionalen Trips, die mich zu einem Vollblutgamer gemacht haben. Team Ico und Sony: Vielen Dank, dass ihr nicht aufgegeben und uns SpielerInnen dieses traumhafte Abenteuer beschert habt!

9.5

Wertung: 9.5 Pixel

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[…] Ich habe weder Ico noch Shadow of the Colossus gespielt und mir deshalb nichts von The Last Guardian erwartet. Umso erfreulicher war es, als ich den verletzten und ängstlichen Trico zum ersten Mal im Spiel sah. Der Beschützer- und Helferinstinkt in mir kam sofort zum Vorschein und von da an, erlebte ich eine emotionale Reise, die ich keinesfalls missen möchte. Selbst Steuerungs- und Kameraproblemchen trüben meinen Spielspaß nur marginal. Ich finde es spannend, wie wenig Zeit Team Ico benötigt, um eine magische Verbindung zwischen den SpielerInnen und Trico aufzubauen. Spiele, die Gefühle in mir wecken, sind es, die mich… Read more »

Marianne Kräuter

Nachdem in anderen Kritiken die hakelige Steuerung, die miese Kameraführung und Tricos Ungehorsam so hervor gehoben wurden, wurde ich eher abgeschreckt. – Aber wenn du meinst, dass die emotionale Bindung zu den Charakteren so gut funktioniert, werde ich es in den Ferien mal anspielen 🙂 – Wie lange dauert das Spiel insgesamt?