The Outer Worlds im Test – Ein RPG wie damals
Obsidian kreiert mit The Outer Worlds den inoffiziellen Nachfolger zu Fallout: New Vegas und damit ein RPG, wie vor zehn Jahren. Mit vielen kleinen Stories, Charme und moderatem, nicht unnötig aufgeblasenen Umfang ist das Spiel wie für mich geschaffen.
Klein und fein
Wir leben in einer Welt, die immer höher, schneller und weiter hinaus will. In den letzten Jahren durften wir deshalb immer wieder auf der Packungsrückseite eines Spiels (sofern es eine solche überhaupt noch gibt) lesen, dass der gerade erworbene Titel über eine der größten, ja wenn nicht sogar die größte, existierende Open World beinhaltet. Die Spielwelten wachsen immer weiter an und noch immer ist eine Spielzeit über 100 Stunden in der Spielerschaft ein schlagkräftiges Argument für einen Kauf. Für mich sind viele dieser Spiele längst schon viel zu aufgebläht und ich verfolge im letzten Drittel ohnehin nur mehr die Hauptquest, die Open World wird dabei bestenfalls zur Kulisse. Aus diesem Grund freue ich mich auch darüber, dass Obsidian ein bewusst altmodisches Rollenspiel gemacht hat, das „nur“ 30 Stunden Spielzeit garantiert.
Mit einem Fuß im Abgrund
In The Outer Worlds geht es nicht wie in Fallout in die amerikanische Postapokalypse, sondern in das Sci-Fi-Setting des Halcyon-Systems am Rande der Galaxie. Die klassische Demokratie wurde in diesen Gebieten abgeschafft, es herrschen nun mehrere Großkonzerne. In Zeiten von Amazon, Apple und Google eine spannende Prämisse, wo Konzerninteressen und Betriebswirtschaften nicht nur über dem Gesetz stehen, sondern dieses sogar selbst gestalten. Es ist eine sehr düstere Zukunft, denn die Menschen, die in Halcyon leben definieren sich ausschließlich über ihren Job und werden dazu noch brutal von ihren Firmen ausgebeutet. Das Setting bietet damit ganz andere Konflikte als die Postapokalypse, ist aber ähnlich dystopisch. Wo sich ein Fallout bereits drei Schritte nach dem menschlichen Abgrund befindet, ist The Outer Worlds aber erst einen kleinen Schritt davor.
You think you’re SPECIAL?
Als SpielerIn gelangen wir als komplett unbeschriebenes Blatt in diese Welt. Und wenn es schon nicht Gedächtnisverlust ist, dann ist es die zweithäufigste Ursache in Videospielen, warum sich unser Protagonist nicht auskennt, er (oder nach Wahl auch sie) wacht nach einem Kryoschlaf wieder auf. Phineas Wells, der Wissenschafter, der meinen Avatar aus dem Schlaf holt, erklärt gleich zu Beginn, dass hier einiges schief gegangen ist. Man ist 70 Jahre zu spät erwacht, das Raumschiff ist vom Kurs abgekommen und auf den Kolonien herrschen bereits eine Seuche und mehrere Verschwörungskomplotte.
Bevor es dann aber so richtig losgeht müssen wir uns neben Äußerlichkeiten im Charaktereditor auch noch um die (inneren) Werte unserer Spielfigur kümmern. Das Level- und Skillsystem erinnert sehr an SPECIAL aus Fallout, da man Charakterpunkte auf Werte wie Intelligenz, Charme oder Ausdauer aufteilt. Diesen Attributen sind dann weitere Skills untergeordnet, z.B. gibt es bei Nahkampf ein- und zweihändige Waffen, bei Charme gibt es Lügen, Überreden und Einschüchtern. Bei einem Level-Up erhalte ich dann zehn Punkte, wodurch ich meinen Charakter ganz individuell gestalten und vor allem auch meinen Spielstil ausdefinieren kann. Wer nicht so gerne kämpft, kann oft gewaltlos vorgehen und sich über ein gehacktes Terminal Zugriff verschaffen, an Feinden vorbei schleichen, sie überreden oder per Schlossknacken den Hintereingang verwenden. Außerdem sind auch die ausgefallenen Perks wieder mit an Board, die euch Boni auf Attributwerte oder ähnliches geben.
Das ist zwar keine Genreinnovation, ist aber sehr schön umgesetzt und oftmals gibt es je nach Skillung viele Wege, die ans Ziel führen. In meinem ersten Durchlauf habe ich stark auf soziale Skills gesetzt und konnte mich oft aus prekären Situationen rausreden. So habe ich z.B. einem Banditenanführer vorgeschlagen, dass ich ihn nicht umbringe, sondern er mir als Beweis für seinen „Tod“ sein Lieblingsfeuerzeug überlassen soll, um meinen Auftraggeber zu täuschen. Bei dem habe ich dann zusätzlich noch eine fette Prämie eingestrichen und verhandelt, dass ich das seltene Zippo behalte darf und das ganz ohne jemals den Abzug betätigt zu haben.
Reden ist Gold
Überhaupt ist Reden eine der Grundtugenden in The Outer Worlds. Jede Person will euch die eigene Lebensgeschichte erzählen und überraschenderweise muss ich sagen, dass ich den Leuten ausgesprochen gerne zugehört habe. Die Charaktere sind teils skurril, teils lustig und erzählen spannende, kleine Geschichten, die sehr schön mit der Welt verwoben sind. Die Quests folgen zwar meistens Schema F, aber durch die Einbettung verfolge ich sie trotzdem mit großem Interesse.
Gleich in der ersten Stadt begegnet mir ein Totengräber, der meine Hilfe als Schuldeneintreiber benötigt. Der Großkonzern, dem die Menschen in diesem Gebiet angehören, vermietet nämlich die Gräber an die Nachkommen der Verstorbenen. Die um sich greifende Seuche wird außerdem nur behandelt, wenn es sich um eine für das System sehr wichtige Person handelt („körperliche Ertüchtigung, macht den Geist wieder Gesund“) und so fehlt es dem Kollegen nie an Arbeit. Während des Schuldeneintreibens lerne ich dadurch einen alten Hypochonder kennen, einen Vikar, der mir die Konzernreligion erklärt und versuche nebenbei noch einen Grabräuber zu schnappen. Diese Verästelungen an Quests sind hervorragend gemacht, da sie die Charaktere besser hervorheben, sie greifbarer machen und sehr organisch ineinander übergehen. So kennt und liebt man das von Obsidian.
Abwechslungsreiche Gebiete
Lauft ihr dann durch eines der fünf Gebiete und deren Städte, werdet ihr schnell merken, dass diese durch das kleinere Budget eher leblos und leer sind. Dafür sind die Gebiete aber angenehm klein gehalten und in ca. fünf Stunden ist alles erkundet. Dadurch bietet mir The Outer Worlds ein so angenehmes Spielgefühl, weil alles so überschaubar und so beherrschbar ist. Ein neuer Hub überflutet mich nicht mit zig Aufgaben und seelenlosen Questgebern, sondern führt Stück für Stück wieder ein paar neue Personen ein, die mir dann mit der Zeit ans Herz wachsen und mir gerade passend viele Quests zuschanzen.
Der Questausgang ist außerdem auch immer euch überlassen. Ihr könnt Parteien gegeneinander ausspielen, euch auf eine Seite schlagen oder sogar optionale Lösungen für Konflikte finden. Die Gebiete sind zwar selten mit viel Leben gefüllt, sind aber angenehm abwechslungsreich. In der Metropole Byzantium leben die Reichen und Schönen in Hochhäusern im starken Kontrast zu der beengten und atmosphärischen Raumstation Groundbreakter. Dann wiederum gibt es Sümpfe und Arbeiterkolonien, wie auch verstrahlte und unwirtliche Wüstengegenden. Wie Eingangs erwähnt handelt es sich hier aber nicht um eine klassische Open-World. Alle Areale sind durch Felsen oder sonstige Dinge (Stichwort Raumstation) abgesteckt und haben für mich genau die richtige Größe bekommen, damit mein Erforschungsdrang erhalten bleibt. Das liegt auch daran, dass es immer und überall interessanten Loot zu finden gibt. Im schlimmsten Fall können die alten Schießeisen zumindest noch zerlegt und wiederverwendet werden.
Mittelmäßiges Gunplay
Obwohl ihr oft die Möglichkeit erhalten werdet Kämpfe zu umgehen, machen Nah- und Fernkampf einen großen Teil des Spiels aus. Wenn ihr mit ein- oder zweihändigen Waffen loszieht ist es wichtig den Block und das Ausweichmanöver zu nutzen, da ihr dadurch weniger Schaden nehmen werdet und mit einem perfekten Block sogar noch welchen austeilt. Geht es dann über in den Fernkampf ist The Outer Worlds trotz Sci-Fi sehr konventionell. Shotgun, Handpistole, Maschinengewehre, Karabiner, Plasma-MG, Flammen- oder Granat zählen zum Standardrepertoire, dass ihr Feinden abluchsen oder bei Händlern kaufen könnt.
Per Tastendruck könnt ihr für eine kurze Zeitspanne eine Zeitlupe aktivieren. Das ist besonders praktisch, denn so können Schwachstellen der Gegner genau anvisiert werden. Das Gunplay ist solide, aber nicht herausragend. Immerhin ist das Trefferfeedback bei kritischen Treffern ganz cool in Szene gesetzt. Ihr dürft euch hier aber kein Borderlands 3 erwarten. Das gilt natürlich auch für die Anzahl an unterschiedlichen Waffen. Zumindest gibt es auch ausgefallenere Schießeisen wie z.B. den Schrumpfstrahl. Damit sehen auch die schrecklichsten Gegner gar nicht mehr so fürchterlich aus. Auf lange Sicht fehlt dann aber doch etwas die Abwechslung, was man gerade im letzten Drittel zu spüren bekommt.
Wenn ihr nicht gerade den Perk „Einsamer Wolf“ ausgerüstet habt (der verleiht euch einen Kampf-Bonus, wenn ihr alleine unterwegs seid), dann solltet ihr euch Partymitglieder suchen, die euch im Kampf, aber auch abseits unterstützen. Durch Quests könnt ihr sie überzeugen bei euch mitzukämpfen und sogar sehr praktische Spezialangriffe auslösen. Die schüchterne Technikerin Parvati schlägt mit ihrem Hammer so hart auf Gegner ein, dass dieser eine Druckwelle auslöst und alle Feinde im näheren Umkreis zu Fall bringt. Außerdem steigert Parvati auch noch meinen Technikwert um zehn Punkte, was extrem wertvoll sein kann. Ihr müsst euch also immer gut überlegen, welche zwei Partymitglieder ihr gerade einsetzen wollt, da sie auch außerhalb der Kämpfe immer wieder sehr nützlich sind. Außerdem sind die Quests die ihr für eure BegleiterInnen erledigt mit die coolsten im Spiel. Da gibt es von feinfühlig geschriebenen Episoden hin bis zu skurrilen und lustigen Momenten alles was das Rollenspielherz begehrt.
The Outer Worlds Fazit
Man merkt zwar The Outer Worlds zwar an, dass es mit einem etwas kleineren Budget entwickelt wurde. Dafür wirken die Städte zu leblos und die Figuren manchmal zu hölzern. Dafür werdet ihr aber im Laufe dieses Abenteuers skurrile Machenschaften mitansehen, auf vielschichtige und witzige Charaktere treffen, aber vor allem die vielen gut ineinander verzahnten Stories der BewohnerInnen des Halcyon-Systems hören und miterleben. An jeder Ecke warten sie, die Geschichten, die mich in dieses Spiel reingesaugt haben. Die trösten dann auch über das mittelmäßige Gunplay und die wenigen Gegnertypen. Es ist auch nicht das größte und komplexeste Rollenspiel, aber meiner Meinung nach liegt gerade darin die Stärke. Trotz des geringeren Umfangs ist The Outer Worlds endlich wieder ein Spiel, in dem man sich austoben kann, weil so viel Herzblut darin steckt.