Wolfenstein 2: The New Colossus im Test – “Terror Billy” macht weiter
Wolfenstein 2: The New Colossus macht dort weiter, wo Wolfenstein: The New Order aufgehört hat. Dabei bietet der zweite Teil eine gute Mischung aus Stealth und brachialem Shooter und erzählt dazu noch eine spannende, teils sehr ernste, teils sehr humorige Story. Warum ich mich aber trotzdem immer wieder über Wolfenstein 2: The New Colossus ärgern muss, lest ihr in meinem Test.
Alte Haudegen, neue Teufelskerle
Wolfenstein 2: The New Colossus fängt direkt nach dem Ende des Vorgängers an und bietet einen sehr löblichen Rückblick zu den Geschehnissen aus Teil 1 an. Außerdem wiederholt sich sogar eine Schlüsselszene aus Wolfenstein 1, wo sich Protagonist William „B.J.“ Blazkowicz entscheiden muss, welchen Kameraden er retten möchte. Die Nazis konnten zwar zurückgeschlagen werden, besetzen jedoch immer noch erfolgreich die USA. B.J. schart daher alte und neue Verbündete um sich, um das skrupellose Regime zu stoppen. Vergleichbar ist diese Prämisse mit Mass Effect 2, da Blazkowicz ebenfalls alles rekrutiert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ähnlich wie die Space-Opera, schafft es aber auch Wolfenstein 2: The New Colossus interessante Wendungen und Kniffe herauszuarbeiten. Blazkowicz ist nämlich nicht nur angeschlagen, sondern ist obendrein auch noch werdender Vater, womit eine ganz neue Art der Verantwortung auf ihm lastet. Das Spiel nutzt außerdem sehr schön gestaltete Rückblenden, die die Vergangenheit von B.J. darstellen. Gerade die Aufarbeitung der Beziehung zur eigenen Mutter ist spannend, emotional und gut umgesetzt.
Schleichen in Wolfenstein?
Gameplaytechnisch bietet euch Wolfenstein 2: The New Colossus Oldschool-Shooterelemente im neuen Gewand an. Die Gesundheit regeneriert sich kaum, nur die altbekannten Medipacks können B.J. vollständig heilen. Dadurch ist auch der Schwierigkeitsgrad ganz schön knackig ausgefallen. Wer blind in Gegnerhorden rennt, wird gnadenlos abgeknallt. Wo sich der neueste Teil ein wenig von den Wurzeln der Serie verabschiedet, ist der Stealth-Part. Mit Schalldämpfer und heimlichen Kills, inklusive brachialem Axt-Kill, kann jeder Level mit Hilfe von Schleicharbeit deutlich effizienter gespielt werden. Aber keine Sorge, um’s Ballern werdet ihr trotzdem nicht drum rumkommen! Das fühlt sich auch richtig gut an, denn alle verschiedenen Waffentypen fühlen sich wuchtig an und auch das Trefferfeedback der Kontrahenten ist mehr als deutlich spürbar.
Mit zwei Waffen im Anschlag
Zusätzlich dazu ist es wichtig, wo ihr hinzielt, denn die vielen verschiedenen Gegnertypen haben unterschiedliche Schwachstellen, die ihr abschießen und so großen Schaden verursachen könnt. Außerdem kann B.J. seine Waffen mit allerhand Gadgets, wie Zielfernrohren oder panzerbrechender Munition modifizieren. Mit dem neuen Akimbo-Modus darf Blazkowicz sogar zwei beliebige Waffen gleichzeitig führen. Das alles fühlt sich gut an, bietet eine ordentliche Herausforderung und macht durch die vielen verschiedenen Möglichkeiten auch noch nach vielen Stunden Spaß. Nachdem Wolfenstein 2: The New Colossus sichtlich kräftig die Oldschool-Fahne schwingt, findet man im Spiel natürlich keine Fähigkeitspunkte oder RPG-Systeme. Es gibt aber das sogenannte Vorteilssystem, wodurch neue Fähigkeiten erspielt werden können. Dadurch werden Eigenschaften verbessert, die wir mit Blazkowicz oft einsetzen. Hantiert man z.B. viel mit Wurfäxten, so darf man bei ausgebauter Stufe mehr davon mit sich herumtragen. Das ist angenehm intuitiv und fördert zudem den eigenen Spielstil. Eine zwar nicht neue, aber schön umgesetzte Idee.
Alles toll, Aber…
Das Alles hat mir imponiert, denn selten habe ich in AAA-Shootern neben flüssigem Gameplay eine so wendungsreiche Geschichte erleben dürfen, die zum Teil sogar gut mit dem Gameplay verwoben wurde. Wolfenstein 2: The New Colossus setzt dabei auf knallharte Themen, sehr überzogenen Humor und vor allem überzeichnete Charaktere. Diese Mischung muss man mögen, funktioniert meiner Meinung nach aber zumeist gut. Und doch gibt es für mich ein dickes, fettes Aber: Das Spiel wurde in der deutschen Version in quasi vorauseilendem Gehorsam stark abgeändert und zensiert. Das keine Nazisymboliken vorkommen ist für mich vollkommen in Ordnung. Man merkt ohnehin an allen Ecken und Enden, dass man es hier mit Nazis zu tun hat. Alleine das Gegnerdesign mit den langen Mänteln und die gesamte Farbgebung sprechen hier eine deutliche Sprache. Auf genau diese Deutlichkeit verzichtet aber die Synchro. Begrifflichkeiten wie „Nazis“, „Holocaust“, „Drittes Reich“ oder „Juden“ sind komplett rausgestrichen und existieren in der deutschen Version nicht.
Alles muss raus!
Im Spiel schart ihr Widerstandskämpfer um euch, die mit euch in die gemeinsame Schlacht ziehen wollen. Darunter sind logischerweise Charaktere zu finden, die dem Nazi-Regime nicht passen. Schwule, Menschen mit dunkler Hautfarbe oder mit Behinderung und selbstverständlich auch Juden schließen sich Blazkowicz in der englischen Version an. In der deutschen Fassung wurde (ohne hier zu viel zu spoilern) ein jüdischer Charakter zu einem „Verstoßenen des Regimes“ umgeschrieben. Jedes noch so kleine Anzeichen des Judentums wurde in der deutschen Version rigoros entfernt!
Der Einwand „Na dann spiel das Spiel eben in der Originalfassung!“ gilt leider nicht, da der englische O-Ton in den deutschsprachigen Ländern nicht existiert. Auch ein Nachladen von Sprachfiles hat keinen Sinn, denn die deutsche Fassung ist eine ganz eigenständige Version, wodurch dieser Schritt keine Wirkung zeigt. Versteht mich nicht falsch, die deutschen Sprecherinnen und Sprecher machen einen guten Job, aber darum geht es mir nicht. Die Atmosphäre leidet ganz einfach darunter, wenn ich ohne diese Begrifflichkeiten auskommen muss und ich bei gewissen Sätzen sogar aktiv raushören kann, was gerade in der deutschen Version rausgestrichen wurde.
Zerstörte Immersion
Nur damit eins klar ist: Bethesda hat in diesem Fall aus Vorsicht und aus Angst vor Klagen gehandelt, weshalb ich ihnen selbstverständlich mit dieser Zensur nichts inhaltlich unterstellen möchte. Rein aus Konsumentensicht empfinde ich es aber als absolute Frechheit, dass in einem Nazisetting z.B. der Holocaust verschwiegen wird. Das ist eine, wenn auch unfreiwillige und unbeabsichtigte, jedoch sehr seltsame Verharmlosung der Kriegsverbrechen der damaligen Zeit. Das stört mich gewaltig, nicht nur während, sondern auch abseits des Spielens und zerstört an manchen Stellen, die ansonsten so dichte und packende Atmosphäre.
Abschließend zu diesem Thema sei aber etwas relativierend gesagt, dass das Zensur-Thema während des Spielens nicht ständig auffällt. Irgendwann hat man sich daran gewöhnt hat, wenn das Spiel wieder vom „Regime“ und nicht von den „Nazis“ spricht. Deshalb ist es für das Spielerlebnis an sich, nicht so wahnsinnig störend. Es schwingt aber immer wieder im Hintergrund mit und das ist das Quälende daran: Ohne diese Entscheidungen hätte man ein besseres, authentischeres Spielerlebnis haben können (ganz ohne Hakenkreuze und verfassungswidriger Symbolik). In einem kulturellen (und keinesfalls verherrlichendem) Kontext, muss diese Darstellung möglich sein!
Viel zu Erleben
Abseits davon hat Wolfenstein 2: The New Colossus aber viel zu bieten und das Spielen lohnt sich! An jeder Ecke gibt es Propaganda-Poster zu sehen, man findet Schallplatten von Bands wie den Käfern oder Songs wie z.B. „Haus in Neu-Berlin“, das eine abgeänderte Version von House of the Rising Sun ist. Die Alternate History, wo die Nazis den Krieg gewannen, wird daher oft humorig dargestellt und so dargestellt, dass einem das Lachen dann doch wieder verschämt im Halse stecken bleibt. Z.B. berichten AnhängerInnen des Ku-Klux-Klans über den ersten Germanen auf dem Mond. Das Spiel schafft mit solchen Schilderungen eine sehr gelungene Mischung aus ernsten Themen und Humor der richtig schön over-the-top ist.
Fazit Wolfenstein 2: The New Colossus
Natürlich gibt es auch kleine Mängel wie KI-Aussetzer, die etwas umständliche Waffenauswahl beim Akimbo-System und vor allem die störenden Soundaussetzer in den ansonsten so gut inszenierten Zwischensequenzen. Nichts davon ist aber wirklich lange schädigend, wodurch man mit Wolfenstein 2: The New Colossus einen großartigen Oldschool-Shooter bekommt, der es versteht diese alten Konzepte in ein neues, passendes Gewand zu pressen. Es mag sich zwar etwas seltsam anfühlen ausgerechnet in einem Wolfenstein zu schleichen, aber es passt gut zum Setting. Die Story und die Welt enthalten vielen interessante Details, mal lustig, mal betrübend, was sehr gut funktioniert. Und auch wenn Bethesda vielleicht nichts dafür kann, weil sie auf anraten so gehandelt haben, ist mir einzig die zu stark entartete Zensur, der deutschen Fassung ein Dorn im Auge. Nichtsdestotrotz erhält man mit Wolfenstein 2: The New Colossus einen ungewöhnlichen, spannenden Shooter auf absolutem Top-Niveau.