XCOM 2 (PC) im Test
Globalstrategie, Rundenstrategie, Taktikkämpfe und Hunderte von Aliens, die nur darauf warten, von euch auseinandergenommen zu werden – all das bietet Firaxis’ XCOM 2. Das ist aber nichts Neues, denn bereits der Vorgänger XCOM: Enemy Unknown konnte mit diesen Mitteln groß auftrumpfen und die Herzen vieler Spielerinnen und Spieler gewinnen. XCOM 2 entwickelt deshalb die Stärken behutsam und geschickt weiter, mischt aber auch ein kleines Haar in das sonst so großartige Strategiesüppchen.
Everyday Hero
Meine Geschichte beginnt mit einem Deutschen, namens Bernhard Werner. Bernhard erlernte schon früh die Kunst des Überlebens und sieht nebenbei noch aus, wie ein junger Lemmy Kilmister (R.I.P.). Zwar könnte ich sein Aussehen, seine Herkunft ja sogar seine Biografie nach meinen Wünschen umgestalten, doch Bernhard ist für mich perfekt, so wie er ist.
Zwar ist er nur eine kleine austauschbare Einheit in einem großen Krieg, mit vielen Opfern, aber er wächst mir mit jedem Einsatz mehr ans Herz. Außerdem musste der Deutsche schon viel miterleben, denn in XCOM: Enemy Unknown selbst konnte die Alien-Invasion noch gestoppt werden. Ein paar Jahre später gelang es den Extraterrestrischen aber trotzdem die Erde einzunehmen. Mitunter ist das die größte Erneuerung von XCOM 2, denn anstatt gegen eine Invasion anzukämpfen, gilt es nun in Guerilla-Kämpfen die Aliens vom Heimatplaneten zu entfernen.
Kurze, intensive Gefechte
So startet man mit vier, später bis zu sechs SoldatInnen in eine Mission, wo meine Jungs und Mädels zu Beginn meist noch unentdeckt über die zufällig generierte Map schleichen. Die Grundmechanik ist eigentlich recht simpel, jede(r) SoldatIn kann zwei Aktionen durchführen – Schießen, Nachladen, Bewegung, in Deckung gehen und vieles mehr, steht zur Auswahl. Das Problem ist aber, dass die Aliens zahlenmäßig weit überlegen sind, und so muss der erste (und einzige) Überraschungsangriff richtig sitzen: Zwei meiner Leute verstecken sich hinter einem Truck, nutzen also volle Deckung und können daher nur schwer getroffen werden. Die Beiden geben außerdem Feuerschutz, was bedeutet, dass sie auf das erste Alien schießen, dass sich in der nächsten Runde bewegt (unglaublich nützlich). Dann geht alles ganz schnell! Die von Bernhard Werner geworfene Granate richtet viel Schaden an, der Feuerschutz erledigt den Rest. Drei Aliens liegen binnen kürzester Zeit am Boden – und dann passiert es … Ein Sektoid tritt aus dem Dunkeln hervor. Ja richtig, die Art von Gegner, die in XCOM: Enemy Unknown den Begriff Kanonenfutter definierten. Das Vieh belebt einen der ADVENT-Trooper (Advent ist der Name der Alienorganisation) wieder und versetzt einen meiner Rekruten in Panik. Dieser greift ebenfalls zur Granate und wirft sie unglücklicherweise genau zum Truck, wo meine beiden, lauernden AngreiferInnen schweren Schaden nehmen. Das Gefecht kippt allein wegen einer solchen Aktion und ich muss neu laden.
Mehr als nur fordernd
Gerade zu Beginn von XCOM 2 ist schon der Zweite von vier Schwierigkeitsgraden richtig schwer. Zivilisten verwandeln sich in Aliens und als würde das noch nicht reichen, gibt es meist auch noch Zeitdruck (bzw. eine limitierte Anzahl von Runden) bevor das Missionsziel automatisch scheitert. Dadurch sollte man sich mit den eigenen Überraschungsangriffen nicht all zu viel Zeit lassen. Zum Glück steigen die SoldatInnen nach erfolgreichen Scharmützeln im Rang auf und so wird Bernhard Werner zum, wie könnte es anders sein, Grenadier, der mit schweren Waffen und Sprengstoff viel Schaden austeilen kann. Die Ranger-Klasse hingegen greift zum Schwert und geht in den sehr riskanten, aber tödlichen Nahkampf über. Scharfschützen machen, was Scharfschützen eben so tun. Am Interessantesten ist der Spezialist, die neue Klasse des Spiels. Spezialisten können äußerst gut Terminals hacken und können Drohnen in den Kampf schicken. Mit all jenen individualisierbaren Fertigkeiten und den zusätzlich gefundenen oder gebauten Waffen- und Rüstungsupgrades wird jede(r) SoldatIn einzigartig. Der unglaublich umfangreiche Editor lässt sogar manches Rollenspiel vor Neid erblassen, denn die Möglichkeiten das Aussehen, ja sogar die Stimme zu verändern sind enorm.
Ohne, dass das Spiel eine individuelle Geschichte zu jedem/r meiner KämpferInnen erzählt, durchleben sie trotzdem so viele denkwürdige Momente, dass implizit eine Heldengeschichte daraus wird. Nach ein paar Stunden sind mir alle meine Leute wichtig. Ich kenne sie beim Namen, kenne ihre Stärken und Schwächen und möchte sie (und das passiert leider) auf gar keinen Fall am Schlachtfeld verlieren.
Die Zeit drängt
Mit solch einer ausgebildeten Truppe wird XCOM 2 im fortgeschritteneren Spielverlauf paradoxerweise einfacher. Am Anfang sterben meine MitstreiterInnen noch wie die Fliegen, später pendelt der Schwierigkeitsgrad zwischen angenehm fordernd und ein kleines bisschen zu leicht. Die Freude ist selbstverständlich trotzdem noch groß, wenn eine Mission erfolgreich gemeistert wird. Insgeheim merkt man aber manchmal, dass der eine oder andere Einsatz dann doch plötzlich zu leicht war. Das ist aber Kritik auf hohem Niveau, denn XCOM 2 bleibt prinzipiell eine harte Nuss und lässt die Samthandschuhe gleich ganz Zuhaus. Wer es gerne Hardcore möchte, der kann den legendären Ironman-Modus auswählen, in dem man nicht laden kann und jede Entscheidung endgültig ist (unglaublicher Nervenkitzel).
Ähnlich schwierig verhält sich das auch mit dem Zeitdruck, denn als Rundenstratege würde ich gerne besonnen agieren, meist bleibt dazu aber auch keine Zeit. Die Kämpfe sind auf schnelle Gefechte ausgelegt und durch die nichtvorhandene Zeit, müssen so neue Taktiken und Verhaltensmuster in Windeseile gefunden werden. Für mich war das eine sehr interessante und spannende Erfahrung. Ich verstehe aber auch, dass manche SpielerInnen die langsameren, ausgeklügelteren Einsätze bevorzugen.
Viva la Revolución
Bis jetzt habe ich nur über die Rundenstrategie gesprochen und doch bietet XCOM 2 so viel mehr. Die Welt ist übersät mit feindlichen Alientruppen und so bietet das Raumschiff „Avenger“ eine notwendige, mobile Basis. Der Rollentausch hat also stattgefunden, diesmal sind wir, die Menschheit, die Invasoren! So fliegt man die verschiedenen Kontinente ab und versucht, gemeinsam mit lokalen Widerstandsgruppen, feindliche Gebiete zurückzuerobern. In anderen Spielen würde man dann wahrscheinlich Stück für Stück die Weltkarte säubern – nicht so bei XCOM 2. Die Aliens leiten nämlich alle paar Runden „düstere Ereignisse“ ein, die ihre Soldaten z.B. für ein paar Einsätze mit Giftmunition ausrüsten und so den Unterschied in den Kämpfen ausmachen können. Das Perfide daran ist, dass immer gleich drei Stück dieser düsteren Ereignisse gleichzeitig am Laufen sind. Durch den globalen Zeitdruck (da ist er wieder) können nie alle drei Ereignisse unterbunden werden. D.h. man kann sich quasi aussuchen welche Gemeinheiten, die Aliens einem zukünftig antun werden.
Um sich der Alienbrut noch irgendwie erwehren zu können, gibt es zum Glück noch das vorhin schon erwähnte Raumschiff Avenger, das auf unterschiedlichste Arten erweitert werden kann. Erforscht man die mitgebrachten Alien-Kadaver, können neue Rüstungen oder Waffenupgrades freigeschaltet werden. Außerdem können neue Räume gebaut und so z.B. im Psi-Labor oder im fortschrittlichen Kriegszentrum Soldatenverbesserungen freigeschaltet werden. Das benötigt aber alles Ressourcen und Zeit! Die Ressourcen können in Einsätzen gesammelt werden, die Zeit lässt sich verkürzen, in dem man neue Forscher und Ingenieure einstellt. Fakt ist aber, es ist nie alles erforschbar, und nie kann alles ausgebaut werden. Zu jedem Zeitpunkt muss abgewogen werden, was als Nächstes beauftragt wird und was am meisten Boni bringt. Die dadurch getroffenen und hoffentlich sinnvollen Entscheidungen machen XCOM 2 noch einmal deutlich taktischer.
Fazit
XCOM 2 erzählt keine herausragende Story, aber es erzählt ähnlich, wie auch ein Civilization (das im klassischen Sinn überhaupt keine Story hat) eine implizite Geschichte durch die eigene Spielmechanik. Ich sehe mit großer Freude, wie meine jungen Rekruten zu erfahrenen Veteranen werden, nur um sie kurz darauf sterben zu sehen und am Boden zerstört zu sein. Diese Bindung funktioniert fantastisch und gestaltet die vielen Ereignisse deutlich emotionaler. Der ständige Zeitdruck auf allen Ebenen des Spiels kann zwar manchmal nerven, schafft es aber, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt übermächtig oder sogar siegessicher fühle. Trotz kleinerer Schönheitsfehler und Frustration schafft es XCOM 2 seine Mechaniken großartig ineinander zu verzahnen und so ein enorm befriedigendes Spielgefühl zu erschaffen, das mir sehr viel taktische Tiefe bietet und mich immer weiter motiviert.