A Case of Distrust im Test – Mord mit Stil
San Francisco, 1924. Zeit der amerikanischen Prohibition. A Case of Distrust setzt uns in der Rolle der Privatdetektivin Phyllis Malone einen Kriminalfall voller Intrigen, Eifersucht und Geheimnisse vor. Ob dieser einem spannenden Whodunit von Agatha Christie gleichkommt, oder doch besser in einem Groschenroman aufgehoben wäre, erfahrt ihr in meinem Test.
Als weibliche Privatdetektivin in der männerdominierten Welt der 20er hat man es nicht leicht: Phyllis Malone wird von vielen nicht ernst genommen; die banalen Aufträge eifersüchtiger Ehefrauen öden sie an. Als sie schließlich doch einen interessanten Fall angeboten bekommt, nimmt sie trotz des unsympathischen Auftraggebers an. Noch hat sie keine Ahnung, wie verworren und aufregend der Fall tatsächlich werden wird…
In seiner Erzählstruktur erinnert A Case of Distrust an klassische britische Whodunits der 20er und 30er, in denen Fälle noch durch ein scharfes Auge, schnelle Auffassungsgabe und geschickte Deduktion gelöst wurden. Auch auf ein zeitgenössisches Vokabular wurde geachtet, was mich hin und wieder dazu zwang, ein Wörterbuch zu Rate zu ziehen (Oder wusstet ihr, dass “sleuth” eine Bezeichnung für einen “Detektiv” ist?). Es gibt zwar keine Sprachausgabe, aber die Texte sind prägnant und gut geschrieben.
Detektivarbeit in Reinform
Das Spielprinzip ist schlicht, jedoch stimmig: Als SpielerInnen bekommen wir die paar Schauplätze, die Malone während des Falls besucht, als monochrome Schattenbilder zu Gesicht, an denen sich Gegenstände nur aufgrund unterschiedlicher Farbschattierungen voneinander abheben. Diese Orte werden mit dem Mauszeiger in Form einer Lupe untersucht, indem man auf hervorgehobene Gegenstände klickt, um Näheres darüber zu erfahren. Wenn Malone von einem Ort zum anderen wechselt, nimmt sie sich einfach ein Taxi und kann während der Fahrt mit dem Chauffeur plaudern, wobei einem einiges an Zeitgeschichte vermittelt wird. Die meiste Zeit jedoch wird im Dialog mit Verdächtigen verbracht. Erfährt Malone etwas Bedeutendes, kommt es sofort in ihr Notizbuch. Die Detektivin befragt Leute zu ihren Notizen, entlarvt gegebenfalls deren Aussagen mit bereits gesammelten Hinweisen als Lügen und kommt so Stück für Stück der Wahrheit näher.
Dabei muss man als SpielerIn wirklich stets aufmerksam sein und alles genau untersuchen. War man mal nachlässig und bleibt dadurch in seinen Ermittlungen stecken, bleibt wohl oder übel nichts anderes übrig, als Schauplätze nochmals abzuklappern und Verdächtige nochmals genau zu befragen. Ja, das kann mühsam sein, doch man muss dem Spiel zu Gute halten, dass alle Schlussfolgerungen stets logisch bleiben und mit der nötigen Geistesgegenwärtigkeit zu erkennen sind.
Mit Schirm, Charme und Melone
Nicht nur in seinem Spielprinzip, auch im audiovisuellen Design präsentiert sich A Case of Distrust schlicht und elegant. Darunter fallen nicht nur die stark stilisierten Charakterportraits und Schauplatzdarstellungen, die mit ihrem hohen Kontrast Assoziationen an Film Noir hochkommen lassen, sondern auch die thematisch passenden Animationen, mit denen einzelne Bildschirme ineinander übergehen. Oder der am Screen erscheinende Text, der so auch von einer alten Schreibmaschine kommen könnte. Und während man sich als SpielerIn über den Fall den Kopf zerbricht, dudelt im Hintergrund entspannter Jazz. Hier greift alles ineinander, um das passende Flair zu kreiren.
Aus dem Zeitrahmen
“Hier greift also alles ineinander”? – Um ehrlich zu sein, nicht ganz. Es schmerzt mich, es sagen zu müssen, aber gerade der “feministische” Aspekt des Spiels reißt einen aus der Erzählung. Grundsätzlich ist es völlig legitim, die Benachteiligung von Frauen in der damaligen Zeit aus einem modernen Blickwinkel heraus zu beleuchten. Das hätte jedoch konsequenter durchgeführt werden müssen. So wirken die sporadisch eingestreuten Bemerkungen, wie sehr Frauen vor 100 Jahren benachteiligt waren (was sicher stimmt), halbherzig und aufgesetzt; spielerisch spürbar ist für mich diese Benachteiligung nie.
Ohne Krimi geht die Mari nie ins Bett
A Case of Distrust erzählt eine spannende, klassische Detektivgeschichte und präsentiert sich stilsicher als interaktiver Roman mit reduzierten Bildern und stimmigen Jazz-Soundtrack. Die Handlung enführt (bis auf einen unausgegorenen Aspekt) auf interessante Weise in die politisch brisanten 20er Jahre. Wer das literarische Werk Agatha Cristies bereits erschöpft hat oder für 3-4 Stunden mal selbst in die Rolle einer Detektivin schlüpfen möchte, nimmt den Fall an.